StartFeatureSprachwissenschaftler der FU Berlin: Herkunftssprachlichen Unterricht im Saarland zügig umsetzen

Sprachwissenschaftler der FU Berlin: Herkunftssprachlichen Unterricht im Saarland zügig umsetzen

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Saarland muss Vorreiterrolle in Sprachpolitik ernst nehmen

Zum Vorhaben des Saarlandes, freiwilligen Unterricht in Herkunftssprachen von Kindern mit Migrationshintergrund einzuführen, erklärt Dr. Philipp Krämer, Sprachwissenschaftler an der Freien Universität Berlin und Vorstandsmitglied des Interdisziplinären Zentrums Europäische Sprachen:
Herkunftssprachlicher Unterricht als reguläres Angebot statt Sonderbehandlung
Die Pläne der saarländischen Landesregierung zur Einführung von muttersprachlichem Ergänzungsunterricht für häufig gesprochene Sprachen von Kindern mit Migrationshintergrund sind überfällig. Mehrsprachige Kinder haben ein Anrecht darauf, ihre Sprachkompetenzen auch in den Familiensprachen auszubauen, um standard- und schriftsprachliche Kenntnisse zu erwerben und zu festigen. Die Pläne müssen konsequent und zügig umgesetzt werden.
Dass der Unterricht als freiwilliges Angebot gestaltet wird, ist logisch und richtig. Der herkunftssprachliche Unterricht muss in den regulären Schulbetrieb eingegliedert werden. Die Angebote dürfen jedoch nicht dadurch unattraktiv gemacht werden, dass sie nur am Nachmittag stattfinden und dadurch als Zusatzbelastung wahrgenommen werden. Insbesondere muss das Angebot auch Schülerinnen und Schülern offenstehen, die aus Interesse freiwillig teilnehmen möchten, ohne die entsprechenden Sprachen in ihrer Familie zu sprechen. Nur dann lässt sich vermeiden, dass der herkunftssprachliche Unterricht als Sonderbehandlung gesehen wird.

Sprachen gleich behandeln, Feindbildern entgegentreten 

Es muss darauf geachtet werden, dass der herkunftssprachliche Unterricht nicht unter Verweis auf die Förderung des Deutschen verwässert oder ausgebremst wird. Die häufig geäußerte Forderung, man solle den Kindern „erst einmal Deutsch beibringen“, ist nicht zielführend. Sie ist darauf angelegt, die Förderung anderer Sprachen zu erschweren oder zu verhindern. Die Spracherwerbsforschung hat gezeigt, dass die Unterstützung von Herkunftssprachen positive Effekte auf den weiteren Erwerb des Deutschen hat und umgekehrt. Die Familiensprachen und das Deutsche sind keine unvereinbaren Gegensätze, sondern sie ergänzen einander.
Hierarchien zwischen den angebotenen Sprachen sind unbedingt zu vermeiden. Äußerungen, dass Arabisch ‚fremd‘ sei, Italienisch hingegen ‚bewährt‘, muss entschieden widersprochen werden. Die Landespolitik und andere Verantwortliche müssen dem Missbrauch des Arabischen als Anlass für xenophobe und rassistische Hetze deutlich entgegentreten.
Es darf beim herkunftssprachlichen Unterricht kein Werturteil über und keine wertende Unterscheidung zwischen den angebotenen Sprachen geben. Eine gleichwertige Anerkennung von Mehrsprachigkeit unabhängig von den beteiligten Sprachen ist entscheidend für die sprachliche Entwicklung, das Selbstbild und die Chancen zur Teilhabe der Kinder und Jugendlichen.
Die Landespolitik muss sich dafür einsetzen, die Unterscheidung zwischen vermeintlich ‚problembehafteter‘ Mehrsprachigkeit (Deutsch-Arabisch, Deutsch-Türkisch) gegenüber ‚nützlicher‘ Mehrsprachigkeit (Deutsch-Französisch, Deutsch-Italienisch) in der öffentlichen Wahrnehmung zu verringern.

Mehrsprachigkeitspolitik und Frankreichstrategie zusammenbringen

Es ist richtig, dass herkunftssprachlicher Unterricht vom Land übernommen werden muss, anstatt ihn Vertretungen anderer Staaten zu überlassen. Das Saarland muss in der Sprachpolitik in Deutschland und Europa seine Vorreiterrolle ernst nehmen. Nicht nur im Rahmen der Frankreichstrategie,
sondern auch im Bereich von Migration und familiärer Mehrsprachigkeit muss
das Land innovative Konzepte entwickeln, erproben und umsetzen. Die Förderung des Französischen darf nicht länger isoliert von anderen sprach- und bildungspolitischen Fragen betrieben werden. Es muss zum Markenkern des Saarlandes werden, dass es eine umfassende, integrierte Sprachpolitik führt, die grenznahe und europäische Kommunikation wie auch migrantische Mehrsprachigkeit wertschätzt und fördert. Dazu ist es absolut notwendig, dass die beteiligten Ressorts und Ministerien unabhängig von der Parteizugehörigkeit konstruktiv zusammenarbeiten.

Hintergrundinformationen

Dr. Philipp Krämer ist Sprachwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Er stammt aus Homburg/Saar und studierte an der FU Berlin und am Institut d’Études Politiques in Straßburg französische Philologie, Politikwissenschaft und Europarecht.
Er promovierte in französischer Sprachwissenschaft und beschäftigt sich in seiner Forschung u.a. mit Sprachpolitik und Mehrsprachigkeit, Spracheinstellungen und der sozialen Bedeutung von Sprachen etwa im Rahmen von Migration oder Kolonialismus. Er lehrt zudem niederländische Sprachwissenschaft und untersucht Kontaktsituationen in Grenzgebieten germanischer und romanischer Sprachen. Regionale Schwerpunkte sind der Raum Saar-Lor-Lux und die Benelux-Region, aber auch französische Überseegebiete.

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