Wer träumt nicht davon? Ein Leben in Freiheit, ohne finanzielle Zwänge, fernab der täglichen Tretmühle. Das funktioniert nur, wenn man ordentlich etwas auf der Kante hat – oder in Bulgarien. Das kleine Land auf der Balkanhalbinsel hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem Rückzugsort für Rentner, Aussteiger und Überdrüssige entwickelt, denen das Leben in unseren Graden zu stark reglementiert und zu teuer erscheint. Auch Melanie und Olli – sie lebt in Riegelsberg und er im Friedrichsthaler Ortsteil Maybach – haben sich lange mit dem Gedanken getragen, den Schritt zu wagen. Noch ist es zu früh, aber einen Fuß haben sie bereits drin, im Land der Thraker.
Wir treffen Olli und Melanie kurz vor der Jahreswende im Treff am Markt im bitterkalten Riegelsberg. Das Thermometer lugt kaum über die Null-Grad-Grenze hinüber. „In Braknitsa sind es heute 19 Grad“ kommentiert Olli die aktuelle Wetterlage mit einem Lächeln. Beim Blick in die trübe Riegelsberger Suppe hinter dem Fenster, erscheint die Bemerkung surreal.
Wie sind die beiden denn überhaupt darauf gekommen? Mit dem Thema Auswanderung beschäftigen sie sich schon eine Weile. Sie haben sogar in einer Folge der Auswanderer-Show „Goodbye Deutschland“ teilgenommen, wobei es um einen Job auf Mallorca ging. Bei youtube findet sich eine Menge über das Thema und so stießen sie auf Ben Jung und seine Familie, die 2016 quasi mitten in die Prairie ausgewandert sind. Der Mann aus dem Siegerland dokumentiert seither das Leben im ländlichen Bulgarien, einschließlich der Renovierungsarbeiten, der kulturellen Besonderheiten und vor allem das Alltägliche. „In Deutschland wäre es nie möglich gewesen, ein Haus zu kaufen, mit viel Land für die Tiere.“ beschreibt er seine Motivation und trifft damit den Punkt, den viele Ausländer dazu bewegt, das Land am Schwarzen Meer als Wohnstätte auszuwählen.
Motiviert reisten Olli und Melanie nach Bulgarien, verbrachten einige Tage am Strand und besuchten Ben und Lena Jung in Braknitsa, einem kleinen Dorf, das etwa 80 Kilometer östlich der ehemaligen Hauptstadt Veliko Tarnovo und 170 Kilometer westlich von Varna und dem Meer entfernt liegt. Die Umgebung gefiel den Saarländern ebenso wie die Menschen, die sich dort niedergelassen haben, darunter ein Ehepaar aus Kaiserslautern. Auch die Suche nach einem Haus erledigte sich – nach einigen anstrengenden Besuchstouren mit verschiedenen Maklerinnen – fast von allein. Ben Jung erinnerte sich daran, dass ein älterer Herr ein paar Straßen weiter sein Anwesen veräußern wollte und stellte den Kontakt her. Olli und Melanie waren Feuer und Flamme. Ohne das Haus von innen gesehen zu haben, schlugen sie zu.
Doch die Kaufabwicklung entwickelte sich zu einem endlosen Hin-und-her, was sich in stundenlangen Telefonaten mit dem Verkäufer niederschlug, wobei sich schließlich herausstellte, dass er weder der einzige Eigentümer war, noch den ursprünglich vereinbarten Preis für gegeben betrachtete. Bis alle Unterschriften vorlagen, vergingen Monate und selbst der Notartermin zog sich in der bulgarischen Sommerhitze über etliche Stunden. Ein Nervenspiel, bei dem Olli fast ausgestiegen wäre, aber Melanie übernahm die Verhandlungen und so erfüllte sich für wenige Tausend Euro der Traum vom eigenen Haus in Bulgarien.
Nun ist der Standard nicht vergleichbar mit Deutschland. Den einheimischen Eigentümern fehlte in über 40 Jahren Sozialismus und den folgenden, chaotischen Jahren bis zur Aufnahme in die EU schlicht das Geld, in ihr Anwesen zu investieren, so dass gerade die günstigen Immobilien sanierungsbedürftig sind. Aber erst einmal ging es in Braknitsa ans sprichwörtliche „Ausmisten“, bei dem die Nachbarn kräftig mithalfen.
Der schrullige Vorbesitzer machte auch noch eine Sondereinlage. Er hatte auf dem Gelände einen verkommenen Fiat Ducato stehen lassen. „In dem hing sogar ein Wespennest!“ schmunzelt Olli. Nun hatten die beiden das Fahrzeug – im Gegensatz zu den anderen Hinterlassenschaften – nicht mitgekauft, denn dazu ist in Bulgarien ein notariell beurkundeter Kaufvertrag notwendig. Sie konnten mit dem Ding auch nichts anfangen, also forderten sie den Eigentümer auf, den Ducato zu entfernen, was unflätige Schimpftiraden zur Folge hatte. Die Lösung fand schließlich der Bürgermeister: Die Karre wurde an die Straße gerollt – und fertig.
Der Plan von Olli und Melanie ist, das Haus in den kommenden Jahren ihren Vorstellungen entsprechend Stück für Stück anzupassen. Allzu eilig haben sie es nicht, denn beide haben noch schulpflichtige Kinder. Außerdem ist das Rentenalter noch weit entfernt und – auch wenn die Lebenshaltungskosten in Bulgarien deutlich geringer sind als im Saarland – Geld für Strom, Heizung, Lebensmittel braucht man auch in Braknitsa. In den Herbstferien ist der nächste Aufenthalt geplant. Wir werden das abenteuerlustige Paar bei ihrer Vorbereitung begleiten und regelmäßig darüber berichten.
Fotos von Olli und Melanie: