Beim Thema Bildung gibt es im Saarland vielfältigen Handlungsbedarf. Das zeigt der jetzt von der Arbeitskammer veröffentlichte Bericht an die Regierung des Saarlandes 2022 mit dem Schwerpunktthema „Mehr Bildung wagen! Gerade jetzt muss das Saarland investieren!“. „Bildungsinvestitionen sind dringender denn je notwendig, denn was die Bildungsausgaben anbelangt, ist das Saarland im Bundesländervergleich Schlusslicht. Dabei ist Gute Bildung für unser vom Strukturwandel besonders betroffenes Land ein zentrales Politikfeld. Wir fordern daher die neue Landesregierung zu einer Bildungsoffensive auf – entlang der gesamten Bildungskette“, betont Jörg Caspar, Vorstandsvorsitzender der Arbeitskammer des Saarlandes.Ministerpräsidentin Anke Rehlinger: „Bildung ist die beste Investition in die Zukunft und auch die lohnendste. Bildungsinvestitionen haben deshalb für uns Priorität, sei es für Kitas, Schulen oder Aus- und Weiterbildungsangebote und Qualifizierung für die Beschäftigten. Die Bewältigung des Strukturwandels ist ein Marathon, kein Sprint.“
Nach wie vor hängt der Bildungserfolg stark von der sozialen Herkunft ab. Die Klassen werden immer vielfältiger – auch aufgrund der zunehmenden Zahl geflüchteter Kinder und Jugendlicher. Zu viele Kinder und Jugendliche erreichen die schulischen Mindeststandards nicht und der Mangel an pädagogischen Fachkräften in Kitas und Schulen spitzt sich zu, wie auch der kürzlich veröffentlichte Nationale Bildungsbericht bestätigt. Zudem erfordert der digitale Wandel seit Langem schon neue Kompetenzen in Aus-, Fort- und Weiterbildung. Die Corona-Pandemie hat die bildungspolitischen Versäumnisse der vergangenen Jahre oder gar Jahrzehnte offenbart. Die sind eine Folge mangelnder Investitionen, von Kürzungen und von Sparmaßnahmen.
Neben einer ausreichenden und nachhaltigen Finanzierung des Bildungssystems ist die mangelnde Chancengleichheit entlang der gesamten Bildungskette die bildungspolitische Achillesferse. Armut ist damit das größte Risiko für den Bildungserfolg. „Alle Kinder und Jugendlichen haben ein Recht auf gutes Aufwachsen und faire Bildungs- und Teilhabechancen – unabhängig von ihrer sozialen, ökonomischen oder kulturell-ethnischen Herkunft. Wir werden Chancengleichheit aber nur erreichen, wenn wir Bildung anders finanzieren. Chancengleichheit benötigt Ressourcen, viel mehr Ressourcen als derzeit“, so Caspar.
Da die Kita der erste öffentliche Bildungsort für Kinder ist, ist der frühe und regelmäßige Besuch einer Kindertageseinrichtung eine elementare Voraussetzung für Bildungschancen und gesellschaftliche Teilhabe. Klar ist allerdings auch, dass gerade Kindern von eher bildungsfernen Eltern und Eltern mit Migrationshintergrund der Zugang zu Kindertageseinrichtungen erschwert ist bzw. diese Kitas seltener nutzen. „Wir begrüßen deshalb zwar die jetzt beschlossene Beitragsfreiheit. Notwendig sind darüber hinaus aber der quantitative Ausbau des Angebots und ein leichterer Zugang für alle Kinder sowie die qualitative Weiterentwicklung der Kitas und bessere Arbeitsbedingungen der Beschäftigten“, so Caspar. Perspektivisch fordert die Arbeitskammer sogar die Weiterentwicklung von Kitas zu Familienzentren, um Familien niedrigschwellige und ganzheitliche Unterstützungsangebote unterbreiten zu können.
Auch in allgemeinbildenden Schulen ist es aus Sicht der Arbeitskammer um die Chancengleichheit nicht zum Besten bestellt. So stagniert der Trend der Bildungsexpansion am oberen schulischen Qualifikationsspektrum, während die Probleme am unteren Ende wachsen. „Bei allen bildungspolitischen Fortschritten, die es zweifellos gibt, gilt es, jenen Schülern mehr Aufmerksamkeit zu geben, die aus unterschiedlichen Gründen eine schwierige Bildungsbiografie haben“, fordert Caspar. Um hier einen gezielten Beitrag für mehr Chancengleichheit zu leisten, spricht sich die Arbeitskammer bereits seit längerem dafür aus, Schulen mit mehr Förderbedarf bei ihren Schülern gezielt mit mehr Sachmitteln und Personal auszustatten. Darüber hinaus gilt es, Schulsozialarbeit perspektivisch an allen Schulen mit einer Fachkraft für 150 Schüler auszustatten.
„Wer Bildungsgerechtigkeit will, muss alle Schulformen im Blick haben. Wir müssen jetzt wachsam sein, damit die für die Rückkehr zum G9 an Gymnasien benötigten Ressourcen am Ende nicht zu Lasten der übrigen Schulformen gehen“, mahnt Caspar. Angesichts der beschriebenen Probleme am unteren Ende der Bildungskette ist es daher dringend notwendig, die Planstellen an allen Schulformen aufzustocken, die Gemeinschaftsschulen durch kleine Klassen zu stärken, die Schulsozialarbeit auszubauen, multiprofessionelle Teams und die unbefristete Übernahme der Sprachförderlehrkräfte anzugehen.
Auch die beruflichen Schulen müssen personell und finanziell gestärkt werden. Es fehlen vor allem die für die berufliche Erstausbildung so wichtigen Lehrkräfte der technisch-gewerblichen Fächer. Hier muss das Land stärker für das Studium werben, Studienmöglichkeiten an den Hochschulen schaffen und neue Studierendengruppen gewinnen. „Wird hier zeitnah nichts unternommen, ist die Qualität der Ausbildung gefährdet. Und wir verstärken so den Fachkräftemangel“, mahnt Caspar. Und die Schülerschaft in den Berufsschulen ist sehr heterogen mit unterschiedlichen Problemlagen. Deshalb muss die Schulsozialarbeit auch an allen Berufsbildungszentren dringend ausgebaut werden.
Damit der Fachkräftebedarf der Unternehmen gedeckt und alle ausbildungsinteressierten jungen Menschen auch eine Ausbildung absolvieren können, müssen die Betriebe mehr ausbilden. „Eine jetzige Ausbildungsquote von 22,6 % reicht zur Deckung des benötigten Fachkräftebedarfs nicht aus“, so Caspar. Darüber hinaus gilt es, die Berufsorientierung zu stärken, Verbundausbildung mehr zu nutzen und die bestehenden Förderinstrumente für leistungsschwächere Jugendliche intensiv zu bewerben.
Damit eine frühzeitige, vor allem aber eine lückenlose Betreuung aller Jugendlichen gegeben ist, spricht sich die Kammer bereits seit langem für eine landesweite Jugendberufsagentur aus. „Und wir fordern eine rechtlich verankerte Ausbildungsgarantie sowie eine Umlagefinanzierung, damit angesichts des enormen Fachkräftebedarfs ausbildende Unternehmen finanziell entlastet und Betriebe, die selbst nicht ausbilden, zur Finanzierung herangezogen werden“, so Caspar.
Bildungsstand und Geldbeutel des Elternhauses entscheiden auch im Hochschulsystem immer noch maßgeblich über den Bildungserfolg. Diese sozialen Ungleichheiten werden durch die Pandemie verschärft. Für mehr Chancengleichheit muss vor allem das BAföG grundlegend reformiert werden. Die Bundesregierung hat hier bereits einen ersten Teil der versprochenen Reform vorgelegt, der aber noch deutlich nachgebessert werden muss. Aber auch die Hochschulen benötigen eine verlässliche, dauerhaft auskömmliche Grundfinanzierung, um qualitativ hochwertige Bedingungen für Lehre und Studium zu ermöglichen und um notwendige Verbesserungen der vielfach prekären Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu erreichen.
„Auch in der Weiterbildung ist es leider so, dass vor allem die Besserqualifizierten von Bildungsmaßnahmen profitieren. Dabei sind es aber gerade die geringer Qualifizierten, deren Arbeitsplätze im Strukturwandel am stärksten gefährdet sind“, sagt Thomas Otto, Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer des Saarlandes. Angesichts der Herausforderungen durch Digitalisierung, Transformation und Fachkräftebedarf sind auch hier die Unternehmen gefordert, mehr in die Weiterbildung zu investieren.
Neben der Sensibilisierung von Unternehmen und Beschäftigten bedarf es einer Kultur des lebensbegleitenden Lernens. Hierzu braucht es nach Einschätzung der Arbeitskammer neue Wege und betriebliche Strategien, um den Austausch der Unternehmen untereinander zu fördern und weitere Zugänge zu Wissen und Bildung für möglichst viele Beschäftigte zu schaffen. Analog zur Nationalen Weiterbildungsstrategie fordert die Arbeitskammer daher eine saarländische Weiterbildungsstrategie. „Die Herausforderungen des Strukturwandels erfordern ein durch Bund und Land unterstütztes gemeinsames Handeln von Betrieben, Beschäftigten und Sozialpartnern. Notwendig ist auch die Vernetzung der relevanten Akteure und Projekte. Dabei fordern wir nicht nur, sondern sind auch treibender Akteur. Unser Weiterbildungsverbund Saarland mit seinem Netzwerk und seinem Weiterbildungs-Mentorenprogramm sowie das Weiterbildungsportal Saarland sind hier die richtigen Instrumentarien“, unterstreicht Otto.
„Zur Verbesserung der Weiterbildung setzen wir uns für ein bundesgesetzlich verankertes Recht auf Weiterbildung sowie ein Initiativ- und Informationsrecht für Betriebs- und Personalräte bei Qualifizierungsmaßnahmen ein. Und wir fordern die Landesregierung auf, das saarländische Bildungsfreistellungsgesetz als ein niedrigschwelliges Bildungsangebot zeitnah zu novellieren mit dem Ziel, die Attraktivität und Inanspruchnahme in der Bevölkerung deutlich zu verbessern“, so Otto.
Dringenden Handlungsbedarf sieht die Kammer in der Bildungskette auch bei der politischen Bildung. Gerade die Corona-Pandemie, in der rechtsextreme Parteien und Ideologien sowie Verschwörungstheorien starken Zulauf erhalten haben, zeigt die Versäumnisse der Vergangenheit. „Wenn man sich anschaut, wie politische Bildung von der Schule bis zur Weiterbildung in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden ist, so ist es höchste Zeit, hier zu handeln, denn Demokratie braucht mehr denn je politische Bildung“, mahnt Otto.
„Damit das alles gelingt und im Saarland eine inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung nachhaltig gestaltet und finanziert werden kann, gilt es, die Einnahmebasis der öffentlichen Hand zu verbessern, das Kooperationsverbot aufzuheben und die Schuldenbremse auszusetzten. Dafür müssen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam in die Verantwortung gehen“, so Jörg Caspar.
Ministerpräsidentin Anke Rehlinger: „Weil unsere Kinder unsere Zukunft sind, sind beste und gleiche Bildungschancen für alle Kinder das Ziel der Landesregierung und wir sehen uns dabei vom Bericht der Arbeitskammer bestärkt und unterstützt. Dabei kann das Saarland auf gute Erfolge verweisen: Im Bildungsranking hat sich das Saarland vom vorletzten Platz mittlerweile in die Top 5 hochgearbeitet. Doch das reicht nicht aus für ein Land im Strukturwandel und es ist kein Selbstläufer, dass es so bleibt – gerade mit Blick auf die Folgen der Corona-Krise. Im Namen der gesamten Landesregierung danke ich der Arbeitskammer für ihre konstruktiven Vorschläge.“
Quelle: Arbeitskammer des Saarlandes