Nicht gezahlter Lohn, ungerechtfertigte Kündigung, Krankheit ohne Lohnfortzahlung oder Kündigung wegen Krankheit – die Liste der Verstöße von Arbeitgebern gegen Wanderarbeiter, mobil Beschäftigte, Geflüchtete und Drittstaatler ist lang. „Gut, dass es unsere entsprechenden Beratungsstellen gibt. Ihr Ziel ist es, Menschen aus Ost- und Mitteleuropa und aus nicht EU-Staaten, die mit den unterschiedlichsten Aufenthaltstiteln zu uns kommen, zu beraten und über ihre Rechte im Arbeits- und Sozialrecht aufzuklären, um so Ausbeutung einen Riegel vorzuschieben“, sagt Jörg Caspar, Vorstandsvorsitzender der Arbeitskammer des Saarlandes. Und die Erfolgsbilanz ist hervorragend.
In rund 2.600 Fällen haben die Kolleginnen und Kollegen der „Beratungsstelle Wanderarbeit und mobil Beschäftigte“ und der „arbeitsrechtlichen Beratungsstelle für Geflüchtete und Drittstaatler“ – beide bei der Arbeitskammer des Saarlandes angesiedelt – den Ratsuchenden helfen können. „Viele der Ratsuchenden konnten vorenthaltende Leistungen einfordern oder sogar einklagen. Oft wurde der Zoll und teilweise die Staatsanwaltschaft tätig, um verbrecherische Vorgehensweisen zu unterbinden“, so Caspar. Die Arbeitskammer berät dabei in folgenden Sprachen: Bulgarisch, Rumänisch, Serbokroatisch, Arabisch, Englisch, Russisch und Deutsch. Die Ratsuchenden kommen zumeist aus der Gastronomie, dem Bereich Logistik/DHL/Zeitungen, der Leiharbeit und dem Baugewerbe, der Reinigung dem Fleischgewerbe und aus dem Handwerk.
„Die Ratsuchenden wissen was Ihnen zusteht, wie und wo sie es einfordern können, müssen dies aber notfalls vor Gericht selbst durchsetzen. Und das ist ein Teil des Problems“, so Caspar. Viele der Ratsuchenden trauen sich nicht, ihre Rechte auch vor deutschen Gerichten einzuklagen. Die Beratungsstelle hilft beim Erstellen von Schreiben gegen Kündigungen bis zu einer Zahlungsaufforderung an den Arbeitgeber. Manche Arbeitgeber reagieren darauf und zahlen wenigstens einen Teil der ausstehenden Gelder aus. Etliche Arbeitgeber lassen sich davon jedoch nicht beeindrucken und gehen davon aus, dass die Menschen wegen mangelnder Sprachkenntnis die Klage vor dem Arbeitsgericht scheuen. „Das ist in der Tat auch so. Mit Unterstützung der Beratungsstelle haben die Menschen, die Klagen eingereicht haben, allerdings oft schon im Vorfeld der Güteverhandlung oder in der Güteverhandlung selbst große Teile ihrer Forderungen gegen den Arbeitgeber durchsetzen können“, so Caspar. Damit sich mehr Betroffene trauen, ihre Rechte einzuklagen, fordert die Arbeitskammer die Einrichtung eines Fonds, der die Kosten der Erstberatung durch einen Anwalt und die Klagekosten in der ersten Instanz übernimmt.
Immer wieder erleben die Beraterinnen und Berater auch Menschen, die von jetzt auf nachher mit der Kündigung auch ihre Unterkunft verlieren. Oft werden bei Kündigungen die letzten Lohnzahlungen verweigert, was zur Folge hat, dass diese Menschen mittellos in der Beratungsstelle erscheinen. „Hier wäre es sinnvoll, über einen Hilfefonds für diese Menschen nachzudenken. Finanziert werden könnten Übernachtungen nach dem Rauswurf aus der Wohnung, Fahrkarten für die Fahrt zu Verwandten oder zurück in die Heimat und Lebensmittel, um die akute Notlage zu überbrücken“, fordert Caspar.
Die Arbeitskammer ist mit der Landesregierung außerdem im Gespräch, das Projekt um eine Beraterin oder einen Berater zu erweitern, die/der polnisch spricht, um insbesondere auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege/Betreuung, eventuell sogar in der 24- Stunden-Pflege zugehen zu können.
Die Kolleginnen und Kollegen der Beratungstellen sind auch bei Werkstoraktionen, oft unterstützt durch Einzelgewerkschaften, direkt vor Ort im Einsatz, um in ihren Sprachen Menschen über ihre Rechte im Arbeitsverhältnis aufzuklären. Und sie gehen regelmäßig über LKW-Parkplätze, um dort die Fahrerinnen und Fahrer über Lenkzeiten und Pausen zu informieren. Dabei fallen immer wieder massive Verletzungen der Ruhe- und Standzeiten auf. „Die Arbeitskammer plädiert zu mehr Kontrollen, in denen die Fahrerinnen und Fahrer zwar verwarnt werden, die Bußgelder aber den Spediteuren auferlegt werden, damit diese den Fahrerinnen und Fahrern zukünftig die Übernachtungen auch finanzieren. Das müssen die meisten von dem spärlichen Gehalt nämlich aus eigener Tasche bezahlen“, so Caspar.
Die Beratung in Zahlen
Seit April 2018 hat die Beratungsstelle für Wanderarbeit und mobil Beschäftigte mit drei Vollzeitstellen 1.580 Beratungen durchgeführt oft in mehreren Beratungssitzungen. Davon waren 720 Frauen und 860 Männer. 1.037 Beratungen wurden in Rumänisch, 448 in Bulgarisch, 29 in Ungarisch, 54 in Deutsch, 7 in Englisch und 5 in Serbokroatisch durchgeführt. Im Juli 2018 wurde zusätzlich eine „arbeitsrechtliche Beratungsstelle für Geflüchtete und Drittstaatler“ im Rahmen des Netzwerkes IQ Faire Integration eingerichtet mit einem Berater und einer Sachbearbeiterin. Seit Beginn im Juli 2018 wurden in dieser Beratungsstelle über 800 individuelle Beratungen, sowie Gruppenberatungen mit über 200 Teilnehmern durchgeführt. Der Großteil, der Ratsuchenden kam aus Syrien und aus dem arabisch sprechendem Raum. Der überwiegende Teil dieser Ratsuchenden war männlich. Seit Januar 2021 ist das Beratungsprogramm um eine weitere Beraterin für Russisch und Deutsch ergänzt. Vor dem Hintergrund der Ukrainekrise finanziert das Bundesarbeitsministerium die Stelle in vollem Umfang.
Hintergrund
Vor dem Hintergrund der Skandale mit osteuropäischen Arbeitskräften in der Fleischindustrie (Höll) und im Baubereich (Centerpark Bostalsee) wurde die saarländische Politik sensibilisiert und die Gewerkschaften forderten die Einrichtung einer eigenen Beratungsstelle mit Muttersprachlern. Diese Forderung hat auch Eingang in die Parteiprogramme zur Landtagswahl im Saarland 2017 gefunden. Im Koalitionsvertrag für die 16. Legislaturperiode des Landtages des Saarlandes (2017 – 2022) wurde schließlich festgeschrieben, eine „saarländische Beratungsstelle für Wanderarbeiter und mobile Beschäftigte“ mit finanzieller Förderung durch das Land einzurichten. Mit der Einrichtung beauftragt wurde die Arbeitskammer des Saarlandes. Begonnen wurde im April, offizieller Start war am 2. Mai 2018 in der Staatskanzlei durch die damalige Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger.
Quelle: Arbeitskammer des Saarlandes