Die Wirtschaftsministerkonferenz 2017, die am 29. und 30. Juni im saarländischen Perl stattfand, hat sich neben dem Schwerpunktthema „Digitalisierung“ unter anderem mit den Folgen des Brexit, mit den Auswirkungen eines veränderten CO2-Emissionshandels auf die Stahlindustrie sowie den Erwartungen an den weiteren Breitbandausbau befasst. „Wir wollten der Wimiko 2017 ein Gesicht geben. Das ist mit dem hochaktuellen Schwerpunktthema Digitalisierung gelungen“, erklärte die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger als Vorsitzende der Konferenz.
Es sei wichtig gewesen, die fortschreitende Digitalisierung aus den unterschiedlichsten Perspektiven zu beleuchten, von der Bauwirtschaft bis zur Telemedizin. Rehlinger: „Kurz gesagt geht es uns darum: Zu Digitalisierung kann man nicht ja oder nein sagen, sie ist da. Man muss aber wissen, wo die Chancen liegen, um sie nutzen zu können.“ Die Politik müsse insbesondere dabei helfen, den kleinen und mittleren Unternehmen den Weg in die Wirtschaft 4.0 zu ebnen und innovative Produktionstechnologie verfügbar zu machen. Daher gebe es auch klare Erwartungen der Länder an den Bund: „Niemand zweifelt mehr daran, dass neue Geschäftsmodelle auf der Basis digitaler Prozesse und Plattformen in Zukunft für die Wertschöpfung eine zentrale Rolle spielen. Daher ist es zwingend notwendig, dass diese auch in der Innovationsstrategie des Bundes stärker berücksichtigt werden.“ Die vom Bund angepeilte nationale Digitalagentur ist aus der Sicht der Wimiko-Vorsitzenden ein Schritt in die richtige Richtung, es müsse aber am Aufgabenzuschnitt noch gearbeitet werden: „Wenn eine Einrichtung gleichzeitig Visionen entwerfen und tatsächliche Entwicklungen regulieren soll, dann ist das für mich ein Widerspruch.“
Als wesentlichen Aspekt bei der Digitalisierung sieht die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger berufliche Qualifizierung. Aus- und Weiterbildung würden wichtiger, wo das Innovationstempo wie zu erwarten weiter zunehme. Rehlinger: „Es kommt darauf an, die Angebote von Schulen, dualer Ausbildung und Hochschulen besser zu verzahnen.“ Entscheidend sei, ob es gelingt, die Modernisierung der Schulen und Berufsschulen mit einer gezielten Qualifizierung des pädagogischen Personals einhergehen zu lassen. Mittel des Bundes wie beim Digitalpakt müssten dafür nachhaltig zur Verfügung stehen, denn „berufliche Weiterbildung muss sicherstellen, dass die Beschäftigten auf den Wandel ihrer Arbeitsumgebung vorbereitet sind“. Ein übergeordnetes Ziel bestehe darin, den Beschäftigten in den sogenannten substituierbaren Berufen durch neues Wissen neue Perspektiven zu eröffnen. Auch die betriebliche Mitbestimmung müsse an die veränderte Arbeitswelt angepasst werden. „Die betriebliche Interessenvertretung muss in der Lage sein, auch unter veränderten Arbeitsbedingungen durch die Digitalisierung die Interessen der Beschäftigten erfolgreich zu vertreten“, so die Konferenzvorsitzende Rehlinger.
Einen breiten Raum nahm bei der Wirtschaftsministerkonferenz das Thema Cybersicherheit ein. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner sagte, bei diesem Thema gebe es im Mittelstand noch erhebliche Defizite: „Jedes dritte deutsche Unternehmen berichtet mittlerweile von Angriffen auf seine IT-Systeme. Der Gesamtschaden durch Cyberkriminalität wird für Deutschland jährlich auf bis zu 10 Mrd. Euro geschätzt.“ Es sei wichtig, „kleine und mittlere Unternehmen bei ihren eigenen Sicherheitsstrategien durch staatliche Maßnahmen wirksam zu unterstützen“ – mit rechtlichen Regelungen, aber auch durch gezielte Förderung: „Die Wirtschaftsminister der Länder erwarten vom Bund entsprechende Entscheidungen und einen Zeitplan für die nächsten Schritte.“
Prof. Dr. Michael Backes, Lehrstuhl für Informationssicherheit und Kryptographie an der Universität des Saarlandes, wies als Gast der Wirtschaftsministerkonferenz darauf hin, dass es beim zunehmenden Einsatz autonomer Systeme wie beim „selbstfahrenden“ Auto sehr wohl Probleme, aber auch Lösungsansätze gebe. Man dürfe nicht aufhören, auf diesem Gebiet in die Forschung zu investieren. Die Wimiko-Vorsitzende Rehlinger sieht sogar die Chance, hohe Standards bei der Cybersicherheit zu einem Markenzeichen des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu machen.
Die Länder-Wirtschaftsminister befassten sich auch mit den möglichen Folgen des Brexit. Nach der Einschätzung von Prof. Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, stecke in dem momentan angepeilten Szenario für den Austritt Großbritanniens aus der EU zwar keine akute Bedrohung für die deutsche Volkswirtschaft, es werde aber zu spürbaren Auswirkungen kommen. Die Wimiko-Vorsitzende Anke Rehlinger rechnet damit, dass es beim Budget der EU zu Einschnitten komme, sobald ein Nettozahler wegfalle: „Wir müssen uns als Bundesländer schon jetzt die Frage stellen, was dies für die Förderkulisse bedeutet. EU-Mittel sind überall fester Bestandteil der Strukturpolitik geworden.“ Daher fordern die Wirtschaftsminister vom Bund, dass Bundesratsbeauftragte auf nationaler Ebene in die Brexit-Verhandlungen eingebunden werden. Dies wurde bei der Konferenz in Perl einstimmig bestätigt.
Rehlinger: „Es wäre ein Fehler, die jetzt begonnenen Verhandlungen für Großbritannien besonders rücksichtsvoll zu gestalten. Die Folge könnte ein Domino-Effekt mit weiteren Austrittsgesuchen sein, das wäre schädlich für den Euro.“
Auch die auf europäischer Ebene laufenden Verhandlungen zur Novellierung der EU-Emissionshandelsrichtlinie für die Jahre 2021 bis 2030 waren Thema der Wimiko im Saarland. Am Freitagmorgen hatten Beschäftigte der saarländischen Stahlindustrie vor dem Tagungsgebäude dazu ihre Haltung bekräftigt und Änderungen an den bisherigen Entwürfen verlangt. Rehlinger: „Die Wirtschaftsministerkonferenz hat sich einstimmig bei drei Enthaltungen dafür ausgesprochen, dass bei der Reform des EU-Emissionshandelssystems die klimaschutz- und industriepolitischen Interessen Deutschlands gleichermaßen gewahrt bleiben müssen“. Der Erhalt der hochmodernen und energieeffizienten Industriebasis sei eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Klimaschutzziele erreicht werden können.
In dem vom Saarland eingebrachten Beschluss heißt es: „Zur Sicherung der Wertschöpfungs-, Beschäftigungs-, Investitions- und Innovationsbeiträge der energieintensiven und außenhandelsabhängigen Wirtschaftszweige des Produzierenden Gewerbes sowie deren internationaler Wettbewerbsfähigkeit werden bei den Trilog-Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, EU-Umweltministerrat und EU-Kommission insbesondere in folgenden Punkten noch Nachbesserungen für erforderlich erachtet:
- deutlichere Anhebung des Industrie-Caps auf bis zu 48 Prozent der Gesamtmenge an Emissionsrechten,
- Vermeidung des sektorübergreifenden, pauschalen Korrekturfaktors,
- Festlegung der Produktbenchmarks nach realen Daten und tatsächlichen Emissionen der 10 Prozent effizientesten Anlagen,
- keine lineare jährliche Mindestabsenkung der Produktbenchmarks in Sektoren ohne Emissionsminderungspotenziale,
- umfängliche Berücksichtigung der Emissionen aus der energetischen Verwertung von Restgasen der Industrie bei der Bestimmung der Produktbenchmarks,
- vollständige Strompreiskompensation des Produzierenden Gewerbes.
Die Wirtschaftsministerkonferenz bittet das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, sich innerhalb der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass Deutschland die aufgeführten industriepolitischen Forderungen im Rahmen der Trilog-Verhandlungen auf europäischer Ebene aktiv vertritt.“