Herausforderungen und Chancen der repräsentativen Demokratie
Darin spricht sich die CDU-Landtagsfraktion unter anderem für eine Stärkung der repräsentativen Demokratie aus. Die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in demokratische Prozesse, Entscheidungen und die politische Willensbildung wird als wichtig gesehen. Wichtige Impulse zur Tholeyer Erklärung gaben die Referenten der Werteklausur. Die geistliche Einstimmung auf die Klausur gab Pater Mauritius Choriol OSB, Abt der Benediktinerabtei. Ammar Alkassar, Beauftragter der Landesregierung für Strategie und Innovation sprach zum Thema „Saarland 2030: Perspektiven für unser Land“, Landtagspräsident Stephan Toscani zum Thema „Chancen und Möglichkeiten der Jugendbeteiligung im Saarland“. Der Saarbrücker Dechant Benedikt Welter, Sprecher in der ARD-Sendung „Das Wort zum Sonntag“, gab einen Impuls zum Thema „Von K.O. Tropfen, von Influencern und Sprachhybriden – Philosophische und theologische Aperçus zu einer infizierten Demokratie“. Den Abschluss am zweiten Tag bildete Peter Müller, Richter am Bundesverfassungsgericht und Ministerpräsident a.D.
Hintergrund:
„Unser System in Gefahr? – Herausforderungen und Chancender repräsentativen Demokratie“
Tholeyer Erklärung 6. Januar 2020
„Freiheit und Selbstbestimmung statt Moralkeule und Extremismus“
Die CDU-Fraktion im Saarländischen Landtag bekennt sich mit Nachdruck zur repräsentativen Demokratie im Saarland wie in der Bundesrepublik Deutschland als diejenige Staatsform, die in besonderem Maße politische Führung und demokratische Verantwortung miteinander verbindet.
Sie ist zusammen mit der Sozialen Marktwirtschaft ein Elementargut unserer freiheitlichen und gerechten Staats- und Gesellschaftsordnung und seit Jahrzehnten Garant für den Schutz von Menschenrechten, gesellschaftlichen Wohlstand und Sicherheit. Unserer repräsentativen und wehrhaften Demokratie ist es in dieser Zeit immer wieder gelungen, Differenzen und Spannungen zu überwinden, Koalitionen zu formen und Zusammenhalt zu stiften – zum Wohle der Allgemeinheit, aber auch zum Wohle und zum Schutz von Minderheiten.
Gerade vor dem Hintergrund dieser herausragenden Bedeutung der repräsentativen Demokratie in Deutschland und darüber hinaus blickt die CDU-Landtagsfraktion mit Sorge auf die Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit: Denn obwohl weltweit die Zahl der Demokratien weiterhin steigt, verschieben sich zugleich in einigen Teilen der Erde, innerhalb Europas und auch in Deutschland die in diesen demokratischen Strukturen geltenden Standards und Grundwerte in eine teils bedenkliche und bedrohliche Richtung.
Einerseits werden demokratische Strukturen überall dort verwundbar, wo illiberale, defekte Formen der Demokratie entstehen. Einschränkungen der Rechtsstaatlichkeit, des freien und fairen Wahlrechts, Beschädigung der Grund-, Menschen- und der liberalen Freiheits- und Bürgerrechte (u.a. Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit), Schwächung gewählter Parlamente oder der Justiz – defekte Demokratien sind facettenreich, aber sie haben eines gemeinsam: ihre Funktionslogik zur Sicherung von Freiheit, Gleichheit und Kontrolle der Regierungen ist massiv beeinträchtigt.
Andererseits zeigen auch die hochentwickelten westlichen Demokratien Auszehrungserscheinungen. Die Globalisierung und das mit ihr einhergehende Wirtschaftswachstum scheinen das teils bestehende und teils empfundene ökonomische Ungleichgewicht zu verstärken. Neben den klassischen Konfliktlinien unserer Gesellschaft (wie sozialen Verteilungsfragen oder Konfessionalismus vs. Säkularismus) rückt eine neue Konfliktlinie zwischen Gewinnern und Verlierern einer zunehmend globalisierten Welt offener Grenzen in den Vordergrund. Klassische Milieus verlieren an Bindungskraft.
Die häufig aus dieser Entwicklung entstehenden diffusen Ängste vor Terror, Kriminalität, kultureller Veränderung oder regionalem Abstieg werden zugespitzt durch mediale und digitale Revolutionen, die zu einer „Aufregungskonjuktur“gerade in den sozialen Medien beitragen. Vor allem das Internet hat die Fundamente unseres demokratischen Systems nachhaltig und zugleich zwiespältig beeinflusst: Einerseits mit neuen Chancen durch Foren politischer Information und Beteiligung, andererseits mit schwerwiegenden Herausforderungen durch Emotionalisierung, Polarisierung und Maßlosigkeit, die mit dem Konsensgedanken unserer Demokratie nur schwerlich vereinbar sind.
Die Folge: Nicht nur, aber auch in Deutschland nutzen gerade populistische Kräfte von links und rechts diese Bedingungen aus, um die Beziehungen zwischen politisch Verantwortlichen und der Bevölkerung nachhaltig zu stören. Bindungskräfte der klassischen Volksparteien gehen verloren, das Vertrauen in etablierte Formen von Politik sinkt, das klassische Parteiensystem erodiert.
Für die CDU-Landtagsfraktion sind diese Beobachtungen zutiefst bedenklich. Sie zeigen, dass Demokratien heutzutage nicht mehr durch Staatsstreiche abgeschafft werden, sondern allmählich und fast unmerklich zerfallen. Diesem Prozess wollen wir entschieden auf allen Ebenen unseres Handelns entgegenwirken:
- Argumentieren statt moralisieren – für einen offenen, pluralistischen Diskurs
Demokratie und Meinungsfreiheit können anstrengend sein, vor allem in Zeiten zunehmender Moralisierung und Polarisierung. Moderate politische Positionen erodieren zugunsten extremer Handlungen und teils kruder Theorien der Vereinfacher.
Rechten Bedrohungen, gefolgt von Verbrechen wie dem Mord an Walter Lübke, wollen wir mit allen Mitteln des Rechtsstaats entgegenwirken. Ebenso energisch treten wir jeder anderen Art von Extremismus entgegen, die die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gefährden – sei es linksextremistisch oder fundamentalistisch motiviert.
In der öffentlichen Debatte wollen wir rechten Hassparolen und linken Moralphantasien, die bestimmten Denkweisen und Lebensausrichtungen eine Vormachtstellung einräumen und der Gesellschaft ein „Kostüm der erzwungenen Konformität des vermeintlich Guten und Besseren“ überstülpen wollen, entgegentreten.
Die CDU-Landtagsfraktion setzt sich deswegen für einen öffentlichen Diskurs ein, der extremem Gedankengut und moralischer Überhöhung eine Absage erteilt und Argumente und Realitäten vieler Bürgerinnen und Bürger wieder in den Vordergrund rückt. „Freiheit und Selbstbestimmung statt Moralkeule und Extremismus“ muss das Leitmotiv christdemokratischer Debattenkultur bleiben.
- Starke, demokratische Institutionen zum Schutz unserer offenen Gesellschaft
Die Aussage des Philosophen Karl Popper ist auch heute noch gültig und zeitgemäß – Die offene Gesellschaft wird immer Feinde haben und immer Bedrohungen ausgesetzt sein. Bei aller auch begreiflichen Kritik an den Institutionen unseres Staates im Alltag steht für die CDU-Landtagsfraktion fest: Wir brauchen einen im guten Sinne starken und wehrhaften Staat, der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch unter Bedrängnis verteidigt und Debatten ermöglicht – offline wie online.
Dazu gehören eine effektivere Bekämpfung von Hasskriminalität im Netz, auch durch die Umsetzung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, Ergänzungen und Erweiterungen des Strafgesetzbuchs in Bezug auf Gewalt und Hasskriminalität sowie einen handlungsfähigen Verfassungsschutz.
Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein! Wir wollen Hassparolen und Hetze im Internet und den Sozialen Medien stärker bekämpfen. Dazu wollen wir u.a. in einer Anhörung das Netzwerkdurchsetzungsgesetz evaluieren, um dessen Wirksamkeit zu überprüfen und ggf. zu verbessern.
- Bildung als Grundlage einer wehrhaften Demokratie
Die CDU-Landtagsfraktion setzt sich dafür ein, Junge Menschen von unserer demokratischen Grundordnung in einer offenen, toleranten und pluralistischen Gesellschaft zu überzeugen und sie wehrhaft zu machen gegen extremistische Versuchungen. Hierzu gehören allen Formen der Demokratieerziehung und -bildung, aber auch Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe in Schule, der Zivilgesellschaft und auf kommunaler Ebene.
- Neue Formen der Partizipation wagen
Die CDU-Landtagsfraktion plädiert dafür, Bürgerinnen und Bürger stärker in den demokratischen Diskurs zu integrieren, in politische Prozesse einzubinden und auf diesem Wege zu einer neuen demokratischen Kultur in unserer Gesellschaft beizutragen.
Für uns ist aber auch klar: Nicht alles, was nach mehr Demokratie aussieht, führt zwangsläufig auch zu mehr Demokratie. Direktdemokratische Elemente dürfen daher nicht zu einer Aushöhlung unserer repräsentativen parlamentarischen Demokratie gerade auch auf kommunaler Ebene führen.
Stattdessen stehen wir für partizipative Elemente sowohl auf kommunaler und landespolitischer Ebene, die nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung unser repräsentatives System bereichern:
- Wir werden eine Konzeption zur Einsetzung von repräsentativ ausgewählten Bürgerforen im Saarland entwickeln, um auf diesem Wege landespolitisch relevante Entscheidungen mit Grundsatzcharakter für die nachfolgende Beschlussfassung im Parlament vorzubereiten. Mit Blick auf die erfolgreiche Anwendung von Bürgerforen auf nationaler (Irland), regionaler (Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, Baden-Württemberg) und kommunaler Ebene bieten sich auch bei uns Möglichkeiten, die Bürgerinnen und Bürger an der politischen Willensbildung zu beteiligen, ohne den Wesensgehalt unserer repräsentativen Demokratie zu verändern.
- Wir fordern die Schaffung eines Jugendparlaments im Saarland, um junge Menschen und deren Positionen noch stärker im politischen Diskurs berücksichtigen zu können. Die Ausgestaltung dieses Jugendparlaments könnte den Vorschlag der Landesschülervertretung aufgreifen. Das heißt, dass ein solches Jugendparlament sich aus den demokratisch an den jeweiligen Schulformen gewählten Schülersprecherinnen und -sprecher zusammensetzt.
- Wir werden unser erfolgreiches Format „Fraktion in der Region“ zu Diskussionsforen des Bürgerdialogs ausweiten, um den Raum für den Diskurs mit den Bürgerinnen und Bürgern zu erweitern.
- Wir wollen auch die Debattenkultur im Landtag weiter stärken. Dazu regen wir eine Änderung der Geschäftsordnung des Landtages an.