Am 24. Februar 2022 hat sich der Autokrat Wladimir Putin aus einer rationalen Wahrnehmung der Gegenwart verabschiedet und sich in das Reich der Geschichtsrevisionisten begeben. Er bekräftigt mit brutaler Gewalt und Offenheit seine Absicht, das Zarenreich vor 1917 als einzig legitimen Vorläufer für das heutige und künftige Russland zu akzeptieren. Die Negation der Entwicklungen eines ganzen Jahrhunderts soll seinen hegemonialen Anspruch legitimieren, das Existenzrecht anderer Nationen und Völker allein an den „unverhandelbaren Interessen“ seines neuen Zarenreiches zu messen.
Auf einer irrationalen Grundlage aus populistischem Nationalismus und persönlichem Narzissmus folgt er seinem Hang zur Despotie. Den ansonsten kühl und kontrolliert wirkenden Putin erleben wir betont emotional und aggressiv. Dieser zur Schau gestellte Wahnsinn hat aber Methode, er ist zugleich kalkuliert und soll ein Klima der Angst und Unberechenbarkeit verbreiten.
Mit seiner Invasion der Ukraine schafft er nicht nur neue geopolitische Tatsachen. Die Dimension der Bedrohung reicht weit darüber hinaus: Er allein beansprucht für sich die Definitionsmacht über die Geschichte Europas, das Existenzrecht von Staaten und die Anwendbarkeit von Recht. Dieses Signal wirkt disziplinierend nach innen – auf die mafiöse Oberschicht aus Nutznießern und Oligarchen – und nach außen angsteinflößend auf alle Staaten, die einst dem Zarenreich ganz oder teilweise angehörten.
Ein solcher Nachbar zeigt sich schon alarmiert und verurteilt den Einmarsch: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der selbst gerne mit seiner Idee eines neuen Osmanischen Reiches spielt, muss einen altbekannten Gegner fürchten. Gerieten diese beiden Reichsbürger als Zar und Sultan aneinander… wäre die NATO involviert und das Inferno entfacht.