Schön war das nicht, das polemisch kommentierte und nur auf die unschönen Problemzonen fokussierte Bild Saarbrückens, das „Spiegel TV“ am 15. Juli 2019 mit „Saarbrooklyn“ ablieferte. Kaum verständlich aber erscheint mir andererseits die beleidigte Schnappatmung etlicher Lokalpatriot*innen, an deren Spitze sich nun auch die Oberbürgermeisterin gesetzt hat. Sie hält es für eine angemessene Reaktion, die Medienaufsicht einzuschalten. Kann man ja wollen, aber wo bleibt – zumindest ergänzend – eine problembewusste öffentliche Auseinandersetzung mit den Inhalten der Doku?
Nicht in SPIEGEL-Manier dramaturgisch aufgeladene, stattdessen wissenschaftlich fundierte Befunde zu den Zuständen in Saarbrücken werden ja kaum wahrgenommen: Wer erinnert sich an die Artikel in der WELT und im SPIEGEL aus dem Mai 2018 zur Ghettoisierung in deutschen Städten? Niemand! Berichtet wurde über die bislang umfangreichste Studie zu sozialen Brennpunkten, in denen sich eine Entwicklung zeigt, wie man sie bislang nur aus den USA kannte. Die Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) ist weiterhin verfügbar unter dem Titel „Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte?“. Richtig trockener empirischer Stoff, es würde mich nicht wundern, wenn ihn die Macher der Doku als Rechtfertigung nutzten.
Hier in Kürze zum Inhalt: Im Hinblick auf das Ausmaß sozialer Segregation lag in der Studie Saarbrücken auf Platz 7 unter 74 untersuchten Städten und auf Platz 2 in Westdeutschland. SBG-II-Empfänger bleiben unter sich und arme Kinder wachsen in einem von Armut geprägten Umfeld auf. „In deutschen Städten wachsen die Ghettos“, schrieb der SPIEGEL und die WELT konstatierte einen klaren Trend: Die sozialräumliche Spaltung stieg in den Städten schneller, in denen sie bereits relativ hoch war. Explizit genannt wurden Kiel, Saarbrücken und Köln.
Und die Reaktion der Lokalpatrioten vor einem Jahr? Ruhe im Karton, kein Aufschrei – nichts! Keine öffentlichen Diskussionen oder tagelangen Kommentare in „der Zeitung“ und auf allen SR-Kanälen. Noch nicht einmal liebevolle Buttons mit „I love Ghetto“ wurden von Aktivist*innen verteilt. Aber vielleicht kommt das ja noch.
Erst einmal verdauen wir eine neue Negativmeldung. Aus Anlass einer aktuellen Forsa-Umfrage melden Handelsblatt und Wirtschaftswoche am 22. Juli 2019: „Saarländer sorgen sich am meisten um die Zukunft, Sachsen und Thüringer am wenigsten“. Und wieder hat es das kleine Land bundesweit an die Spitze geschafft. Glückwunsch!
Sepp Korn
Quellen:
https://www.wzb.eu/de/pressemitteilung/arm-und-reich-jung-und-alt-immer-seltener-tuer-an-tuer