Nachdem Dr. Helmut Isringhaus und Dr. Jürgen Rissland die politische und die medizinische Seite einer allgemeinen Corona-Impfpflicht auf saarnews.com beleuchteten, haben wir den renommierten Juristen Prof. Dr. Christoph Gröpl gebeten, das Thema aus rechtswissenschaftlicher Sicht zu beurteilen.
saarnews: Guten Tag, Herr Prof. Dr. Gröpl! Bevor wir konkret auf die Impfpflicht zu sprechen kommen, sollten wir die Argumentationslinien vielleicht von der Grundlage her einmal einsortieren. Die meisten, die sich dagegen aussprechen, argumentieren mit dem Verweis auf die Grundrechte. Aber es gibt quasi kein Grundrecht, das nicht in irgendeiner Form mehr oder weniger eingeschränkt ist…
Prof. Dr. Christoph Gröpl: Bis auf die Achtung der Menschenwürde gemäß Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes ist jedes Grundrecht einschränkbar. Dies beruht auf der Gemeinschaftsbezogenheit des Einzelnen. Das heißt: Keiner lebt für sich allein, sondern muss auf andere Rücksicht nehmen. Allerdings: Das Argument „Wenn ohnehin alle Grundrechte eingeschränkt sind, dann kommt es auf die Einschränkung durch eine Impfpflicht auch nicht mehr an“ – das wäre der Anfang vom Ende aller Freiheiten in unserem Land und damit auch von einem möglichst selbstbestimmten und selbstverantworteten Leben in Würde. Deshalb bedarf jede Einschränkbarkeit und erst recht jede Einschränkung eines Grundrechts sorgfältiger Überlegung, Rechtfertigung und Abwägung. Grundrechte sind der Sauerstoff, den wir täglich atmen.
saarnews: Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes besagt, dass jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit besitzt und: „In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden“. Ist das Thema damit erledigt? Wenn also beispielsweise der Bundestag einen Passus in das Infektionsschutzgesetz (IfSG) einfügen würde, der eine allgemeine Impfpflicht vorschreibt, wäre dem Grundgesetz genüge getan. Oder?
Prof. Dr. Christoph Gröpl: Nein. Zunächst einmal fordert ein Gesetz – juristisch ausgedrückt: der Gesetzesvorbehalt – eine parlamentarische Entscheidung. Eine Impfung kann also z.B. nicht von einem Amtsarzt, einem Bürgermeister, einem Ministerpräsidenten, einem Gesundheitsminister oder Bundeskanzler dekretiert werden.
Im Übrigen fängt „das Thema“ mit dem Gesetzesvorbehalt erst an: Was nämlich – leider – bis heute nicht im Text des Grundgesetzes zu lesen ist, aber gleichwohl seit den 1950er Jahren einen seiner zentralen Bestandteile ausmacht, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Von Juristen wird er dem Rechtsstaatsprinzip entnommen, jeder Jurastudent lernt ihn semesterlang in all seinen Schattierungen, trainiert ihn in Übungsklausuren und Hausarbeiten. Jeder Rechtspraktiker muss ihn bei seiner täglichen Arbeit beachten. Dieser Grundsatz besagt, dass jeder staatliche Eingriff, dass insbesondere jedes Gesetz verhältnismäßig sein muss. Damit wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip zum Lebenselixier unserer Freiheit.
Was besagt dieser Grundsatz genau? Er fordert ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Ziel und dem Weg dorthin („Mittel-Zweck-Relation“). Zunächst aber ist das Ziel als solches zu untersuchen: Ist es legitim, d.h. mit unseren Verfassungswerten vereinbar? In der Diskussion um die Impfpflicht wäre das der Gesundheitsschutz der Bevölkerung wie auch jedes Einzelnen. Damit ist die Sache allerdings nicht zu Ende.
Im nächsten Schritt muss geprüft werden, ob das Mittel (der Grundrechtseingriff), das der Staat zum Schutz der Gesundheit einsetzt, verhältnismäßig ist. Anders als Machiavelli propagierte, heiligt der Zweck gerade nicht jedes Mittel. Vielmehr sind nur solche Grundrechtseingriffe verhältnis- und damit verfassungsmäßig, die (1.) geeignet, (2.) erforderlich und (3.) angemessen sind.
Und hier liegt bei einer allgemeinen Impfpflicht das Problem. Ist sie denn tatsächlich geeignet, um die Gesundheit der Allgemeinheit wie auch des Einzelnen zu fördern, geschweige denn zu schützen? Betrachtet man sich die derzeitigen medizinischen Erkenntnisse genauer, erheben sich große Zweifel: Eine Covid-19-Impfung schützt eben nicht – wie monatelang, zum Teil wider besseres Wissen behauptet wurde – gegen eine Corona-
Infektion des Geimpften. Und, es kommt noch schlimmer, sie schützt auch nicht dagegen, dass der Geimpfte andere Menschen ansteckt. Einige Thesen gehen sogar so weit, dass wir in den vergangenen Monaten nicht nur keine „Pandemie der Ungeimpften“ gehabt hätten, sondern eine „Pandemie der Geimpften“. Ich bin kein Mediziner oder Statistiker und maße mir keine Letzt-
entscheidung über solche Fragen an. Auch für Laien dürfte allerdings klar geworden sein: Die Impfung schützt nicht vor Eigen- und Fremdansteckung. Dann aber ist die Impfung nicht geeignet zum Gesundheitsschutz, daher nicht verhältnismäßig, sondern verfassungswidrig.
Eine Prüfung der weiteren Punkte, nämlich der Erforderlichkeit und der Angemessenheit (siehe oben), ist nicht mehr notwendig.
Es bleibt das Argument, dass die Impfung womöglich vor schlimmen Krankheitsverläufen schützt, das seinerseits bestritten wird. Selbst wenn es stimmt: In einem freiheitlichen Staat muss es dem Einzelnen überlassen bleiben, ob und inwieweit er sich selbst gefährdet, wenn er sich impfen oder nicht impfen lässt. Und einer Überlastung des Gesundheitssystems, insbesondere der Intensivstationen in Krankenhäusern, hat der Staat nicht durch eine Impfpflicht entgegenzuwirken, sondern durch die Finanzierung ausreichender Kapazitäten.
Noch gar nicht ins Kalkül gezogen werden dabei die möglichen Nebenwirkungen einer Impfung. Hier wird die herrschende Meinung in der Medizin so nervös und, ja: bösartig, dass Personen in leitender Stellung des Gesundheitswesens, die auf größere Gefahren von Nebenwirkungen aufmerksam machen, fristlos gekündigt wird (so jüngste Medienberichte zum ehemaligen Vorstand einer Betriebskrankenkasse). Mit freiheitlich-pluralistischen Denkstrukturen in der Medizin als Wissenschaft hat das nichts mehr zu tun.
saarnews: Nun dürfte sich die Situation aufgrund des bevorstehenden Sommers wieder deutlich verändern. Die Zahl der Infektionen wird voraussichtlich wieder stark zurückgehen. Könnte eine Impfpflicht aus rechtswissenschaftlicher Sicht wirksam beschlossen werden, wenn überhaupt keine akute Bedrohung besteht und es ungewiss ist, ob in Zukunft wie-der eine pandemische Lage entstehen wird?
Prof. Dr. Christoph Gröpl: Eine allgemeine Impfpflicht müsste nicht nur geeignet zum Gesundheitsschutz sein, sondern auch erforderlich. An dieser Erforderlichkeit fehlt es, wenn die Zahl der Infektionen stark zurückgeht oder wenn sich das Virus nicht mehr als lebensbedrohlich erweist.
Es bleibt das Argument, mit einer allgemeinen Impfpflicht solle einer neuen Infektionswelle im kommenden Herbst und Winter vorgebeugt werden. Sogar ich als Laie weiß aber, dass Viren ständig mutieren und Impfstoffe dadurch ihre Wirkung verlieren. Bei den Grippeimpfungen war und ist dies allgemein bekannt. Das Coronavirus scheint indes sogar noch schneller zu mutieren, was eine Schutzimpfung Monate im Voraus jedenfalls infrage stellt. Abgesehen davon verlieren die Impfstoffe gegen Covid-19, wie sogar die herrschende Meinung einräumt, ihre Wirksamkeit nach viel kürzerer Zeit als erwartet. Auch das zieht die verfassungsrechtliche Erforderlichkeit einer allgemeinen Impfpflicht sehr stark in Zweifel.
saarnews: Vielen Dank, Herr Prof. Dr. Gröpl.