Philipp Krämer, Professor für französische Linguistik an der Freien Universität Brüssel und langjähriger Beobachter der Frankreichstrategie des Saarlandes, reagiert kritisch auf die aktuellen migrationspolitischen Forderungen der Union im Wahlkampf. Zentraler Punkt der Debatte sei die Einführung dauerhafter Grenzkontrollen, die von der Bundespartei – mit wenigen Ausnahmen auch von der saarländischen CDU – unterstützt werde.
„Dauerhafte Grenzkontrollen wären ein offenkundig europarechtswidriges Vorhaben und sie würden dem Zusammenleben in der Grenzregion großen Schaden zufügen. Die bereits jetzt sichtbare Präsenz uniformierter und bewaffneter Polizeikräfte an den Grenzen zu Frankreich und Luxemburg würde wieder zur Gewohnheit, und eine der wichtigsten Errungenschaften der europäischen Integration ginge verloren. Die praktischen Konsequenzen der Forderung sind enorm: Angesichts der unzureichenden Kapazitäten für langfristige oder gar lückenlose Kontrollen an allen Grenzübergängen wäre es eine logische Notwendigkeit, viele kleinere Passagen zu schließen und nur an Hauptwegen zu kontrollieren. Ernsthafte Störungen des Alltags und des vertrauensvollen Umgangs in der Region wären die Folge.“
Krämer bemängelt, dass die saarländische CDU anstatt die Erfahrungen aus der Grenzregion als Korrektiv zu nutzen, die Forderungen der Bundespartei übernimmt und damit ihre europapolitische Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt. Er weist darauf hin, dass damit auch die Umsetzung der Frankreichstrategie gefährdet werde, die einst von der CDU selbst initiiert und erst im Januar im Landtag erneut unterstützt wurde. Ohne „freien Austausch und ungehinderte Mobilität“ sei das Vorhaben hinfällig.
Der ehemalige Europa-Minister Stephan Toscani, der den Kurs der Bundespartei unterstütze, entferne sich mit seiner Position „von den Grundvoraussetzungen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“. Gleichzeitig distanziere sich „selbst die ehemalige Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer von einer der wichtigsten Errungenschaften ihrer Amtszeit“, was das Problem zusätzlich verdeutliche.
Krämer warnt, dass die saarländische CDU damit riskiere, ihr europäisches Profil zu verlieren und gemeinsam mit der Bundespartei in eine Logik der nationalen Abschottung abzudriften. Er kritisiert die gemeinsame Abstimmung mit der rechtsextremen AfD im Bundestag und die zunehmende Übernahme migrations- und gesellschaftspolitischer Positionen dieser Partei. „Durch die gemeinsame Abstimmung mit der rechtsextremen AfD im Bundestag und die zunehmende Übernahme derer migrations- und gesellschaftspolitischer Positionen entfernt sich die Union von Prinzipien, die in der saarländischen Landespolitik stets Konsens waren und die für das Zusammenspiel in der Grenzregion unverzichtbar sind. Zu den Zielen der Frankreichstrategie und der gelebten Freundschaft in der Großregion stehen diese Vorstellungen in einem unauflösbaren Widerspruch. Hält die Saar-CDU an den formulierten Forderungen fest, muss sie den Wahlberechtigten und der Bevölkerung in den Nachbarländern erklären, ob sie tatsächlich zur Aufgabe der Frankreichstrategie bereit ist.“
Kurzbio Prof. Dr. Philipp Krämer
Philipp Krämer ist Sprachwissenschaftler und Professor für französische Linguistik an der Freien Universität Brüssel (VUB). Er stammt aus dem Saarland und beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit Sprachpolitik und Mehrsprachigkeit – Themen, die ihn seit Beginn auch intensiv mit der Frankreichstrategie des Saarlandes verbinden.