Vor einigen Tagen wurde unserer Redaktion eine Bundesdrucksache aus dem Jahr 2012 zugesendet. An sich ist das kein bemerkenswerter Vorgang, doch diese PDF Datei hat es in sich. Unter der Fragestellung „Wie kann der Staat eine bedarfs- und risikoorientierte Vorsorge- und Abwehrplanung im Zivil- und Katastrophenschutz gewährleisten?“ wurden zwei Szenarien simuliert: Eine Hochwasserkatastrophe und eine – CORONAVIRUS-Pandemie. Zweck der Maßnahme sollte sein, eine Informations- und Entscheidungsgrundlage zu bilden „und somit eine verbesserte, risiko- und bedarfsorientierte Vorsorge- und Abwehrplanung im Zivil- und Katastrophenschutz ermöglichen“. Die Risikoanalyse „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ wurde unter fachlicher Federführung des Robert Koch-Instituts und Mitwirkung weiterer Bundesbehörden durchgeführt.
„Das Szenario beschreibt eine von Asien ausgehende, weltweite Verbreitung eines hypothetischen neuen Virus, welches den Namen Modi-SARS-Virus erhält. Mehrere Personen reisen nach Deutschland ein, bevor den Behörden die erste offizielle Warnung durch die WHO zugeht. Darunter sind zwei Infizierte, die durch eine Kombination aus einer großen Anzahl von Kontaktpersonen und hohen Infektiosität stark zur initialen Verbreitung der Infektion in Deutschland beitragen. Obwohl die laut Infektionsschutzgesetz und Pandemieplänen vorgesehenen Maßnahmen durch die Behörden und das Gesundheitssystem schnell und effektiv umgesetzt werden, kann die rasche Verbreitung des Virus aufgrund des kurzen Intervalls zwischen zwei Infektionen nicht effektiv aufgehalten werden. Zum Höhepunkt der ersten Erkrankungswelle nach ca. 300 Tagen sind ca. 6 Millionen Menschen in Deutschland an Modi-SARS erkrankt. Das Gesundheitssystem wird vor immense Herausforderungen gestellt, die nicht bewältigt werden können“.
Die Auswirkungen der hypothetischen Viruserkrankung werden exakt so beschrieben, wie wir das von COVID-19 kennen: Eine Inkubationszeit von 3 bis 5 Tagen, trockener Husten und Fieber als Symptome, hohe Letalität bei Menschen, die älter sind als 65 Jahre bzw. milder Verlauf bei Kindern und Jugendlichen. Selbst der Übertragungsweg, Tröpfcheninfektion und Schmierinfektion wegen der Beständigkeit auf glatten Oberflächen, entspricht der Realität. Weiter: „Zur Behandlung stehen keine Medikamente zur Verfügung, so dass nur symptomatisch behandelt werden kann. Ein Impfstoff steht ebenfalls für die ersten drei Jahre nicht zur Verfügung. Neben Einhaltung von Hygienemaßnahmen können Schutzmaßnahmen in dem Sinne also ausschließlich durch Absonderung Erkrankter bzw. Ansteckungsverdächtiger, sowie den Einsatz von Schutzausrüstung wie Schutzmasken,Schutzbrillen und Handschuhen getroffen werden“.
Kurz: das besprochene Szenario entspricht der Anfang 2020 gegebenen Grundsituation. Auch der simulierte Verlauf ist ein Abbild der jetzigen Pandemie. Ein globales Auftreten wird ebenso angenommen wie der Ausbruch an „Hotspots“. „Die Ausbreitung wird auch durch den Einsatz antiepidemischer Maßnahmen verlangsamt und begrenzt. Solche Maßnahmen sind etwa Quarantäne für Kontaktpersonen von Infizierten oder andere Absonderungsmaßnahmen wie die Behandlung von hochinfektiösen Patienten in Isolierstationen unter Beachtung besonderer Infektionsschutzmaßnahmen. Mittel zur Eindämmung sind beispielsweise Schulschließungen und Absagen von Großveranstaltungen. Die enorme Anzahl Infizierter, deren Erkrankung so schwerwiegend ist, dass sie hospitalisiert sein sollten bzw. im Krankenhaus intensivmedizinische Betreuung benötigen würden, übersteigt die vorhandenen Kapazitäten um ein Vielfaches.“
Die eventuelle Verknappung von Rohstoffen wird prognostiziert, ebenso wie die Folgen für verschiedene Industriezweige. Auch die Problematik bezüglich des Personals in den Krankenhäusern wird thematisiert. Dabei rechnet der Ausschuss mit eine Überforderung des Systems, was sich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bestätigt hat. Die prognostizierte Mortalität von 10 Prozent der Infizierten ist gottseidank weit von dem entfernt, was wir gegenwärtig erkennen können.
Das Fatale an der Risikoanalyse ist, dass die Bundesregierung quasi seit 2012 einen Ablaufplan in der Schublade hatte und sich weit vor dem Ausbruch und der Verbreitung durch gezielte Maßnahmen hätte vorbereiten können. Das wirre und widersprüchliche Verhalten insbesondere des Bundesgesundheitsministers lässt darauf schließen, dass ihm diese Risikoanalyse nicht bekannt war. Gleiches gilt für das RKI, dessen negative Äußerungen gegenüber Gesichtsmasken vor dem 2. April sicherlich nicht hilfreich waren. Mittlerweile gilt der Mund- und Nasenschutz als wesentliche Sicherheitsmaßnahme zur Eindämmung des Virus wie die konsequente Anwendung in verschiedenen Ländern und in Jena verdeutlichte.
Hier können Sie sich die Bundesdrucksache mit der Risikoanalyse herunterladen: