Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Quierschied
Ein Beitrag aus dem aktuellen saarnews-Magazin für Quierschied
saarnews: Guten Tag, Frau Mangold! Im Saarland wird seit zwei Jahren viel über die Strukturreform innerhalb der katholischen Kirche diskutiert. Diese reagiert auf die sinkende Anzahl der aktiven Gemeindemitglieder. Wie sieht die Situation in ihrer evangelischen Gemeinde aus? Kämpfen Sie mit den gleichen Problemen?
Tabitha Mangold: Vergleichbar und anders. Wir leiden auch unter sinkenden Mitgliederzahlen. Einmal durch den demographischen Wandel bedingt, aber auch durch Austritte. Die Kirche hat an Bedeutung verloren, es fällt den Leute nicht mehr schwer zu sagen, die Kirche bedeutet mir nicht viel, also trete ich aus. Es gibt nicht mehr die Angst, dass man nicht kirchlich beerdigt wird oder nicht mehr Pate werden kann. Das wird in Kauf genommen und hier verhält es sich in der katholischen und in der evangelischen Kirche ähnlich.
Allerdings wird dieser Schrumpfungsprozess nicht von oben nach unten verordnet. Die Gemeinden müssen sich selbst damit beschäftigen, wie sie mit der Situation umgehen, weil die Gemeinden ja Kirchensteuer pro Kopf erhalten. Sie müssen ihre Pfarrerinnen und Pfarrer selbst bezahlen, so dass sie aufgrund der fehlenden Finanzen von selbst dazu gezwungen sind zu fusionieren, wenn die Gemeinde zu klein ist.
Das sind natürlich sehr langwierige Prozesse. Jede Gemeinde besitzt ihr eigenes Selbstbewusstsein, ihre eigenen Freiheiten. Dies zusammenzuführen führt immer zu langen, oft auch schwierigen Diskussionen. Keiner möchte der Verlierer sein in einer solchen Situation.
saarnews: Eigentlich sollte die evangelische Kirche ja strukturell etwas im Vorteil sein. Sie sind das beste Beispiel dafür: Es gibt kein Zölibat und Frauen dürfen die Sakramente verteilen.
Tabitha Mangold: Zum Pfarrer sein gehört natürlich unabdingbar die Sakramentsverwaltung dazu. Wir sind in dieser Hinsicht auf jeden Fall im Vorteil, denn in der katholischen Kirche gibt es ja beispielsweise sehr viele, sehr gute Gemeindereferentinnen, die genauso gut auch Priesterinnen sein könnten. Aber sie dürfen es nicht. Die katholische Kirche hätte – zumindest in Deutschland – weniger Nachwuchsprobleme, wenn sie denn Frauen für das Priesteramt zulassen würde. Sie hätte auch eine größere Vielfalt, denn ich denke, es ist sinnvoll in einer Gemeinde männliche und weibliche Elemente zu haben.
Ich kann nur für meine Kirche reden. Es hat ein Prozess begonnen intensiv darüber nachzudenken, was Christus Nachfolge heute bedeutet, was Gemeinde und Glauben ausmacht. Jesus hat keine Staatskirche und auch keine Behördenkirche gründen wollen. Der Apostel Paulus hat es einmal sehr treffend ausgedrückt: Ich kann den Juden ein Jude werden, den Griechen ein Grieche, und lasse mich auf sie ein, wenn ich ihnen Christus verkünden kann.
Wir müssen also einerseits wieder klar bekommen: was heißt Gemeinde, was heißt Kirche überhaupt? Auf der anderen Seite, wenn es um Musik geht, um Bibelübersetzungen, die Formen und die Orte des Gottesdienstes – man kann einen Gottesdienst auch in der Disco feiern, warum nicht? – das ist nicht das Wesentliche!
Es geht also um die Konzentration auf das Wesentliche, aber in den Formen und Gestaltungen müssen wir wieder viel, viel mehr auf die Menschen zugehen, anstatt zu sagen: So muss es sein. Paulus hat es uns vorgemacht.
saarnews: Die Kirchen haben den Draht zur Jugend verloren, so lautet die allgemeine Diagnose. Wie, denken Sie, kann man die Verbindung wiederherstellen und die Jugendlichen wieder für das Christentum begeistern?
Tabitha Mangold: Ich habe selbst vier Söhne und einen davon habe ich gestern gefragt, ob er etwas zu Essen will, wenn er heimkommt. Er hat mir per whatsapp geantwortet: NOPE. Da habe ich da gesessen und gedacht: Was heißt das? Dann bin hoch gegangen, zu dem anderen Sohn und habe ihn gefragt. „Das heißt „Nein“…“ bekam ich als Antwort.
Was ich sagen will: Wir müssen verstehen, dass unsere Kinder in einer ganz anderen Situation sind wie wir. Dass sie ein ganz anderes Denken besitzen, teilweise eine ganz andere Sprache. Wir müssen diese Kluft erkennen und fragen: „Was ist eigentlich den jungen Leuten wichtig?“
Für die brauche ich keine Übersetzung der Lutherbibel, auch wenn Luther genial war. Nein, ich brauche so eine Volxbibel, eine Bibel in der Sprache der jungen Leute. Und wir müssen wirklich Interesse an ihnen haben, ihnen zuhören, auf sie eingehen und das Evangelium in ihre Welt hineinbringen. Das müssen natürlich junge Leute machen. Es gibt ja bereits solche Bemühungen, aber es kommt alles sehr spät und sehr holprig.
Ich war gestern auf einer Veranstaltung auf der mir nun zum wiederholten Mal aufgefallen ist, dass Jugendliche immer mehr zu heidnischen Bräuchen übergehen. Das war mir gar nicht so bewußt. Ich glaube, dass wir mit ihnen auch mehr darüber reden müssen, dass unsere Gesellschaft auf christlichen Werten basiert. Wenn wir diese Werte wegnehmen, rutscht uns dann nicht alles weg? Das ist die Frage. Das wäre sehr gefährlich. Ich glaube, das ist denen gar nicht so bewußt. Deshalb müssen wir viel mehr miteinander reden, auch streiten, aber im positiven Sinne. Denn es geht ja darum, dass wir alle gut miteinander leben, gerne auch mit „Mehrwert“ wie die Jugendlichen das sagen. Wenn es mir gut geht, kann ich es auch anderen gut gehen lassen.
saarnews: Jetzt haben wir viel über die allgemeine Situation gesprochen. Wie sieht es konkret in Ihrer Gemeinde aus?
Tabitha Mangold: Also, diejenigen, die aktiv am Gemeindeleben teilnehmen sind mehr ältere als junge Menschen. Trotzdem haben wir in den vergangenen Jahren wieder den Trend, dass wir wieder mehr Hochzeiten haben, was ich sehr schön finde – und auch mehr Taufen. Aber wir schrumpfen ein wenig, wenn auch nicht so wie in den Städten. Wir verfügen immer noch über Ehrenamtliche, die sich voll einsetzen, auch im Presbyterium. Ohne diese Menschen würde ich die Arbeit gar nicht schaffen. Das ist schon enorm, was sie für ein Herzblut einsetzen.
Wir haben auch einen Besuchsdienstkreis. In erster Linie werden Jubilare zu ihren Geburtstagen besucht. Aber wenn erst Kontakte hergestellt sind, dann werden auch die Kranken und die, die einsam oder in Trauer sind, besucht. Da brauche ich gar nichts zu sagen, das läuft ganz von alleine. Und in dem Moment, wenn sie denken, dass da auch eine Pfarrerin von Nöten ist, dann kommen sie zu mir. Das „Aufeinander achten, für einander dasein“, das läuft. Das läuft ganz leise und unbemerkt, aber es läuft. Und das bedeutet ja auch Gemeinde Jesu Christi.
Dann gibt es noch die Kinderkirche, in der ganz unterschiedliche Wesen miteinander arbeiten und sich nehmen wie sie eben sind. In der Jugend Arbeit gibt es Angebote vom evangelischen Jugendwerk, wie z.B. Jugendfreizeiten. Für kleinere Gemeinde ist es schwierig, da etwas alleine zu stemmen.
saarnews: Gibt es etwas, von dem sie denken: Ich würde das gerne ändern, aber ich schaffe es nicht?
Tabitha Mangold: Da gibt es Vieles! Ich würde z. B. gerne viel mehr thematische Gottesdienste machen, von denen ich mir erhoffe, dass man auch einfach einmal andere Leute anspricht. Aber dafür braucht man auch mehr Zeit zur Vorbereitung, die mir dann oftmals fehlt.
Jugendarbeit ist für mich ein Dauerbrenner. Ich habe da auch schon verschiedene Ansätze gemacht, die aber nicht so gelaufen sind wie wir uns das gewünscht hätten. Da denke ich beispielsweise durchaus an Kooperationen mit den Katholiken. Der ökumenische Gottesdienst am Stadtfest kam zum Beispiel gut an. Wir müssen in jedem Fall weg von dieser „Komm-Struktur“ – kommt doch her, die Kirche steht doch offen und bietet euch alles Mögliche an, ob das die Leute interessiert oder nicht. Wir müssen wieder mehr eine „Geh-Struktur“ entwickeln, dass wir zu den Leuten gehen und dass wir dort versuchen, sie zu erreichen. So etwas würde ich gerne viel mehr machen. Aber die Bürokratie lähmt uns alle. 26% der gesamten Zeit nimmt sie in Anspruch. Ich würde lieber zu den Menschen gehen als am Schreibtisch sitzen und irgendetwas ausfüllen.
saarnews: Jetzt steht das Osterfest vor der Tür. Für Christen eine besondere Zeit. Welche Bedeutung besitzt es für Sie persönlich?
Tabitha Mangold: Es ist das Ereignis des Christentums. Da ist einmal der Gottessohn, der nicht ganz weit weg von uns ist und der Leid bis hin zum Tod erlebt hat – allein diese Botschaft, dass Gott so Mensch geworden ist. Und auf der anderen Seite, wenn er nur am Kreuz gehangen hätte, dann hätte sich diese Botschaft von diesem Rabbi, der da mit so ein paar Jüngern umhergezogen ist, ad acta gelegt. Dann wäre dies irgend-eine Sekte gewesen vor 2000 Jahren. Aber dieses Erlebnis der Auferstehung, das dann in alle Welt gegangen ist, dass der Tod nicht das letzte Wort hat – das ist im Grunde die Urstunde des Christentums. Ohne das ist das Christentum gar nicht denkbar. Und für mich persönlich steht und fällt mein Leben damit. Der Glaube an den Gottessohn, der den Tod überwunden hat, der ist für mich ganz wichtig, wenn ich an Gräbern stehe, wenn ich zu sterbenden Menschen gehe. Er gibt mir dieses Vertrauen, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Er gibt mir die Kraft, immer und immer wieder durchzuhalten und diese Auferstehungshoffnung gegen Leid und Tod zu setzen. Ohne das könnte ich mein Lebenswerk als Pfarrerin gar nicht tun.
saarnews: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Mangold!