Der Mann, um den sich die Geschichten drehten, die Shirley Herzer am 6. Februar in der St. Ingberter Stadtbücherei vortrug, war nicht anwesend. Nein, Wilhelm Zeiger ist schon lange tot und über seine Person existieren nur ganz wenige, verlässliche Angaben. Es ist davon auszugehen, dass er vor dem 1. Weltkrieg zugereist ist und dann offiziell in St. Ingbert „eingebürgert“ wurde. Darüber existiert eine Urkunde. Seine Profession war die Fotografie, die er von einem kleinen Ladengeschäft in der Kaiserstr. 62 betrieb. Und er wurde Vorsitzender des Turnvereins und erhielt so die Bekanntschaft zu vielen jungen Vereinsmitgliedern, die 1914 in alle Winde verstreut wurden, um Volk und Kaiser zu dienen.
Die Briefe, die er von den Soldaten erhielt, bündelte er zu Rundbriefen, welche er wiederum an eine ganze Reihe anderer Frontkämpfer verschickte. Das funktionierte quasi wie eine Mailinglist in der heutigen Zeit, später allerdings zensiert durch die Reichswehr.
Aufmerksam wurde Albrecht Zutter, der Verleger des Buches, durch den Hinweis seines Freundes Horst Lang. Dieser hatte als SZ-Redakteur einen Hinweis des 2. Vorsitzende des Heimat- und Verkehrsvereins Bliesransbach, Stefan Klopp, erhalten. Klopp hatte auf dem berühmten Metzer Flohmarkt historische Blätter, eben einen kleinen Teil jener Briefe von den St. Ingberter Soldaten, gefunden. Bald stellte sich heraus, dass sich die gesamte Briefsammlung Wilhelm Zeigers im Nachlass der Schwiegereltern von Shirley Herzer befand. Eine ideale Fügung ergab sich zusätzlich darin, dass die Amerikanerin die Sütterlinschrift, in der all die Briefe verfasst waren, lesen konnte. „Meine Schwiegermutter schrieb nur in Sütterlin. Also musste ich es lernen, um zu verstehen, was sie schrieb.“ Sie machte sich also daran, die umfangreiche Hinterlassenschaft abzuschreiben. Für das eben erschienene Buch „Wie gerne hätten Sie noch gelebt“ wählte sie in chronologischer Weise mal ernste, bedrückende Nachrichten, aber auch heitere und ironische Passagen, die einen sehr klaren und unmissverständlichen Eindruck darüber vermitteln, was den jungen Männern aus St. Ingbert im Krieg wiederfuhr. Kurze, kursiv gestellte Einleitungen stellen einen Kontext her, der durch eine Reihe von Abbildungen (Postkarten, Fotos, Dokumente) ergänzt wird. So entsteht ein Gesamtbild des 1. Weltkrieges aus St. Ingberter Sicht, zu der knapp 100 Soldaten durch ihre Briefe beigetragen haben.
Die Veranstaltung, initiiert durch das St. Ingberter Literaturforum und moderiert durch dessen Vorsitzenden Jürgen Bost, fand großen Anklang. Es gab zahlreiche Nachfragen und persönliche Beiträge, die auch den späteren Lebensweg von Wilhelm Zeiger berührten. Er muss wohl nach dem Ende des Krieges in die Nähe von Koblenz gezogen sein, wo er ab und zu Besuch von ehemaligen St. Ingberter Bekannten erhielt. Aus dem glühenden Nationalisten war schon während der Kriegszeit ein Sozialradikaler geworden. Wer das Buch gelesen hat, dürfte dafür Verständnis gewinnen.
[ngg src=“galleries“ ids=“14″ display=“pro_horizontal_filmstrip“]Shirley Herzer: Wie gerne hätten sie noch gelebt
122 Seiten
Wassermann Verlag
ISBN 978-3-928030-35-9
15.- Euro
Bestellbar unter der E-mail Adresse wassermannverlag@aol.com
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