In der Vergangenheit konnte man oft beobachten, dass starke Aufsteiger in ihrem zweiten Jahr enorme Schwierigkeiten durchleben, und schlussendlich absteigen. Meist hängt dies mit Abwerbungen seiner Schlüsselspieler oder des Trainers zusammen. Beispiele hierfür sind der VFL Osnabrück, der 2019 mit Daniel Thioune aufgestiegen war. Nach einem souveränen Klassenerhalt auf Platz 13 wanderte dieser allerdings zum HSV, zahlreiche Schlüsselspieler verließen den Verein und man stieg in der Folgesaison ab.
Bei der SV Elversberg stellt es sich ein wenig anders dar. Zwar verließen mit Jannik Rochelt, Paul Wanner und Hugo Vandermersch 3 Schlüsselspieler die Saarländer, jedoch blieb die wichtigste Konstante: Trainer Horst Steffen ist bereits seit Ende 2018 im Amt und scheiterte zunächst 3 mal am Aufstieg in die dritte Liga. Im ersten Jahr übernahm er die SVE auf einem Mittelfeldplatz und aufgrund der Konstanz des damaligen Tabellenführer Waldhof Mannheim, war ein Aufstieg nie wirklich realistisch. Im Jahr darauf schwächelte man zu Beginn der Saison ein wenig, was der 1.FC Saarbrücken ausnutzen konnte und ähnlich wie die Mannheimer ein Jahr vorher souverän durchmarschierte. Die Saison wurde im März aufgrund der Corona-Pandemie abgebrochen und der 1.FC Saarbrücken einstimmig als Aufsteiger bestimmt. 2020/21 schafften es schließlich die jungen Freiburger Amateure sich den Aufstieg zu sichern.
Der Rest der Geschichte bis heute ist schnell erzählt, die SVE schaffte im Jahr 2022 den Aufstieg in Liga 3, ein Jahr später marschierte man ohne wirkliche Probleme durch in Liga 2. Dort angekommen entzückte man die Liga durch einen erfrischenden Spielstil und schaffte den Klassenerhalt, ohne jemals in Gefahr zu geraten.
Nun sind wir wieder bei dem Thema „verflixtes zweites Jahr“. Diesen Begriff scheint man in Elversberg nicht zu kennen, da man in eben diesem zweiten Jahr zur Winterpause auf Rang 4 steht. In dieser historisch ausgeglichenen zweiten Liga wäre mit einem Sieg am letzten Spieltag vor der Winterpause gegen Schalke 04 sogar die Herbstmeisterschaft sicher gewesen. Die SVE aber zeigte Nerven und verlor das Spiel gegen die „Knappen“ mit 1:4 in der Ursapharm Arena.
Aber rollen wir das Feld mal von vorne auf. Die Saison startete für die SVE mit einem extrem glücklichen 0:0 in Magdeburg. Man war den blau-weißen in allen Bereichen unterlegen, Torhüter Kristof parierte jedoch mal für mal überragend. In der Woche darauf konnte bereits ein erstes echtes Statement gesetzt werden. Der Bundesligaabsteiger 1.FC Köln kam mit ordentlich Wut im Bauch, nach der Heimniederlage gegen den HSV am ersten Spieltag, nach Elversberg. Nachdem die Kölner verdient in Führung gegangen waren, wechselte Horst Steffen zur Pause Fisnik Aslani ein. Dessen Stern sollte von nun an aufgehen, so lieferte er in diesem Spiel bereits ein Tor und eine Vorlage und war ab dann gesetzt.
Der erste Sieg gelang allerdings erst am 4. Spieltag bei der 4:0 Machtdemonstration gegen einen chancenlose Mannschaft aus Darmstadt. Spätestens seit dem 1:4 Sieg in Berlin, kam die Mannschaft von Horst Steffen richtig ins Rollen. So steht nach Ende der Hinrunde die Bilanz von 8 Siegen, 4 Remis und 5 Niederlagen. Man schoss 31 Tore, die viertmeisten in Liga 2 und bekam mit 22 Gegentoren die drittwenigsten der Liga. Ebenfalls anzumerken ist, dass man 14 der insgesamt 22 Gegentore innerhalb der 5 Niederlage gegen Karlsruhe (2:3), Ulm (1:3), Regensburg (0:1), Paderborn (1:3) und Schalke (1:4) bekam. Ebenfalls interessant zu betrachten ist der Wert der xGA, also der Wert der erwarteten Gegentore der Elversberger. Dieser liegt bei 1,38 pro Spiel, also bei 23,46 Gegentoren in 17 Spielen. Dieser Wert ergibt sich aus den xGA der bisherigen 17 Spielen, auffällig hierbei ist, dass der xGA der Heimspiele bei 1,49 liegt. Wohingegen der xGA auswärts gerade mal bei 1,24. Auswärts lässt man also offensichtlich weitaus weniger zu als zuhause, was auch die Anzahl der „hohen“ Niederlagen zuhause verdeutlicht.
Nach diesem kurzen statistischen Ausflug kommen wir aber nun zum Spiel der Elversberger. So vertraut Horst Steffen stets einer 4er Kette mit 2 Sechsern vorne dran. Lediglich am ersten Spieltag beim schwachen Auftritt in Magdeburg stand eine alleinige Sechs auf dem Feld. In der Offensive ist das Spiel ziemlich variabel, was man perfekt an der Formationsauswahl erkennen kann. So entschied sich Horst Steffen zwölf Mal für ein 4-2-2-2. Ein System mit zwei Flügelspielern, die aber eher als eine Art Halbraumzehner zu sehen sind, hinter den beiden Spitzen. Viermal wurde dem Zuschauer ein klassisches 4-2-3-1 geboten, mit einem Zehner hinter der Spitze. Durch ein System alleine lässt sich aber natürlich nicht die Art und Weise erkennen, wie die Mannschaft spielt. Die SVE ist bekannt für erfrischenden überfallartigen Offensivfußball. Mit welchem Personal dies erreicht wird schauen wir uns nun ein wenig detaillierter an.
Torhüter Nicolas Kristof spielte bereits sechs mal zu Null und glänzt Woche für Woche durch ausgezeichnete Paraden und ein sehr gutes Spiel mit dem Fuß.
Horst Steffen legt in der Defensive einen großen Wert auf Konstanz. So verpassten Torhüter Kristof, Innenverteidiger Pinckert und Linksverteidiger Neubauer, noch nicht eine einzige Sekunde der laufenden Spielzeit. Partner von Lukas Pinckert in der Innenverteidigung war bis zum 4, Spieltag Florian le Joncour. Der erfahrene Franzose erlitt im Spiel gegen Darmstadt 98 eine tragische Verletzung am Ellenbogen und fiel lange aus. Seinen Platz nahm der erst später aus Paderborn verpflichtete Maximilian Rohr ein. Genau wie Pinckert verfügt er über enorm gute Fähigkeiten am Ball und ist somit ein guter Fit, für das System von Trainer Horst Steffen, der den Ball grundsätzlich Flach aus der Defensive raustragen lässt. Links steht Neubauer und rechts Neuzugang Elias Baum. Der junge Außenverteidiger überzeugt durch hohes Tempo und einen enormen Offensivdrang und kann sicherlich als einer der besten Außenverteidiger dieser Zweitliga-Hinrunde gesehen werden. Die Kette steht oft sehr hoch, so kommt es natürlich desöfteren mal zu Situationen in denen der Gegner alleine auf Torhüter Kristof zusteuert, wie etwa bei der 3:2 Niederlage in Karlsruhe. Hinzu kommt, dass die Abstände unter den einzelnen Spielern im Spielaufbau oft sehr hoch sind, um das spiel breiter zu machen und mit raumgewinnenden Bällen zu beschleunigen. Dies kann hervorragend funktionieren wie beispielsweise in Berlin beim 0:2 durch Luca Schnellbacher, aber auch mal schiefgehen wie zuletzt gegen Schalke 04.
Nichtdestotrotz wird der Grundstein des attraktiven Spiels der Saarländer in der Defensive gelegt und die geringe Anzahl von 22 Gegentoren beweist, dass man trotz der existierenden Risiken eine herausragende Defensive aufweist.
Die Doppelsechs steht ebenfalls für Konstanz. So startete man in die Saison mit den beiden Leistungsträgern Semih Sahin und Kapitän Robin Fellhauer. Semih Sahin ist ein spielerisch überragender Sechser für die zweite Liga, der in der Lage ist mit dem Rücken zum gegnerischen Tor aufzudrehen und das Spiel zu beschleunigen. Also eine Art Verbindungsspieler zwischen Defensive und Angriff sein kann, wie es im Moment beispielsweise Felix Nmecha überragend bei Borussia Dortmund macht. Jedoch fällt er seit dem 9. Spieltag mit Wadenproblemen aus. Seinen Platz nahm Carlo Sickinger ein, ebenfalls ein Spieler der bereits seit Regionalligazeiten im Kader der SVE steht. Nebenmann Robin Fellhauer verletzte sich allerdings nach dem großartigen 4:2 Heimsieg über den HSV und wird seitdem von Neuzugang Fredrik Schmahl ersetzt. Trotz des Wegbrechens dieser zwei immens wichtigen Spieler konnte man keinen Bruch in den Ergebnissen der SVE erkennen, insbesondere da Sickinger und Schmahl ihre Chance auch gut nutzen konnten.
In der Offensive dreht sich alles um Senkrechtstarter Fisnik Aslani. Der Neuzugang aus Hoffenheim ist Dreh- und Angelpunkt und hat bei fast jedem Angriff den Ball am Fuß. Er ist ein Allrounder, so kann er den letzten Pass spielen, Solodribblings durchführen, sich in Position bringen den Abschluss selbst zu nehmen, etc…. Er erzielte bereits 10 Tore und legte 4 vor, seine Scorer inklusive seiner spielerischen Fähigkeiten zeigen, dass wir es hier mit nicht mehr oder weniger als dem Spieler der Hinrunde zu tun haben. In seiner aktuellen Verfassung der zweiten Liga bereits um Längen entwachsen. Sein Partner ist der ebenfalls aus Hoffenheim geliehene Muhammed Damar, der ebenfalls durch eine hohe Anzahl von 8 Scorern und enormen Fähigkeiten innerhalb des letzten Drittels zu überzeugen weiß. Diese beiden sind grundsätzlich gesetzt und starteten fast jedes Spiel.
Die restlichen zwei Plätze in der Offensive machen in der Regel Lukas Petkov, Tom Zimmerschied, Manuel Feil und Luca Schnellbacher unter sich aus. Bei ersteren Drei fehlt es allerdings in dieser Saison noch ein wenig an Output. So kommen sie kombiniert auf gerade mal vier Scorerpunkte, was neben den beiden überragenden Leihgaben eher negativ auffällt. Luca Schnellbacher hingegen traf bereits fünfmal und legte einmal vor, verlor allerdings in den Wochen vor der Winterpause seinen Stammplatz. Schnellbacher ist ein Stürmer mit einer unheimlich gut ausgeprägtem Gefühl für die Tiefe und kam trotz einer im Vergleich zu den meisten Innenverteidigern eher kleinen Körpergröße auf beachtliche Chancen per Kopf.
Auffällig am Offensivspiel der Elversberger sind die wenigen Kontakte, die genommen werden. Sobald jemand vor der Kette am Ball ist, werden ihm zahlreiche Optionen geboten durch Bewegungen in die Tiefe. Das 3:1 gegen den HSV zeigt das „Ein-Kontakt-Spiel“ der SVE perfekt auf. Es ist offensichtlich, dass über Jahre hinweg Prinzipien einstudiert worden sind, die dafür sorgen, dass jeder weiß was er zu tun hat. Das Resultat sind 31 Tore in 17 Spielen, die zweitmeisten Torschüsse der zweiten Liga und ein für den neutralen Betrachter wunderbar anzusehender Fußball.
Fazit: Wohin das Alles noch führen mag ist schwer einzuschätzen. Die Liga ist ausgeglichener als jemals zuvor. In Sachen Aufstieg hat die SVE insbesondere den Vorteil, dass man im Vergleich zu großen Vereinen wie dem HSV, Hannover 96, oder dem 1.FC Köln, aufgrund des eher kleineren Umfelds, weitaus weniger Druck verspürt. Spiele wie das 1:4 gegen Schalke zeigen aber auch, dass die SVE sich in der Favoritenrolle vielleicht erst noch finden muss. Eine wirkliche Prognose ist in dieser Liga aber nah an der Unmöglichkeit, sieht man die Aufsteiger der letzten Jahre, wäre es aber auch nicht völlig undenkbar, dass die SVE es schafft. Das Ziel vor der Saison war sowieso ein völlig anderes, nämlich das Etablieren in der Liga. Die sportliche Leitung rund um Sportchef Nils-Ole Book bewiesen wieder ein grandioses Händchen mit ihren Neuzugängen. Nach Woltemade und Wanner in den beiden Jahren zuvor, sind nun Asllani, Baum und Damar die neuen „Leihstars“ der SVE. Die „Elv“ ist also zu einer waschechten „Leihdestination“ geworden, bei der sich größere Vereine sicher sein können, dass ihre Talente eine riesige Chance haben sich zu entwickeln. Dieser Ruf ist zweifelsohne eine Errungenschaft, gleichzeitig stellt sich die Frage, ob man sich immer darauf verlassen sollte jedes Jahr diesen einen besonderen Spieler zu finden. Mit Woltemade, Wanner und Asllani ist es nun dreimal in Folge gelungen und die Mannschaft um diese Spieler herum ist ebenfalls enorm verbessert worden. So existiert ein Stamm aus zahlreichen Spielern, die bereits Regionalliga in Elversberg spielten, und Jahr für Jahr schafft man es neue Leute zu finden, die perfekt ins System passen und der SVE auf ihrem Weg weiterhelfen.