In den vergangenen Tagen war die finanzielle Situation des VfB Lübeck rund um die Corona-Krise Thema in der Medienberichterstattung. Trotz der schwierigen Thematik fiel der Tenor bei den lokalen Medien sachlich und fair aus. Dennoch gibt es natürlich einige Aspekte, die von Medien nur teilweise beleuchtet werden können, die Fans, Mitglieder und Freunde aber dennoch interessieren. Der VfB-Vorstandsvorsitzende Thomas Schikorra spricht im folgenden Interview über die wichtigsten Zusammenhänge, die sicherlich auch für andere Drittligisten Geltung besitzen.
Herr Schikorra, inwieweit muss man sich angesichts der Zahlen, die in den Medien genannt wurden, Sorgen um den VfB machen?
Sorgen muss man sich in diesen Tagen um viele Menschen sowie um Unternehmen und Betriebe machen. Dazu werden auch viele Vereine im Profifußball gehören, und der VfB macht da keine Ausnahme. Aber wir sind fest überzeugt, dass wir die schwierige Situation mit Hilfe aller Beteiligten meistern werden. Wir haben Partner, auf die wir uns verlassen können und die uns auch in der jetzigen Lage zur Seite stehen. Eine erneute Insolvenz droht uns nicht. Aber ein paar deutliche Schrammen werden auch bei uns vermutlich zurückbleiben.
Wie sieht denn die aktuelle finanzielle Lage aus?
Der Verein ist zahlungsfähig, und wird das auch in den nächsten Monaten bleiben. Aber angesichts der Zuschauerbeschränkungen, zuletzt ja sogar mit Geisterspielen, müssen wir natürlich mit erheblichen Einbußen rechnen. Unsere Saison war solide durchfinanziert. Aber diese Einbußen können nun – sofern es keine Veränderung in der Zulassung von Zuschauern und in den Corona-Maßnahmen gibt – dazu führen, dass am Ende der Saison coronabedingt bis zu 1,3 Millionen Euro gegenüber den Planzahlen fehlen. Darin einberechnet sind 200.000 Euro für Corona-Tests und zusätzliche Hygienemaßnahmen im Stadion. Jedes Spiel ohne Zuschauer kostet den Verein rund 60.000 Euro netto. Und das ist nur die konservative Rechnung, denn mit einem Schnitt von 4.912 Besuchern hatten wir sehr zurückhaltend kalkuliert. Beim ersten Spiel gegen Saarbrücken, bei Gegnern wie Dynamo Dresden, Hansa Rostock oder Kaiserslautern wären unter normalen Umständen deutlich höhere Zahlen realistisch gewesen. Bei einem potenziell ausverkauften Spiel wie gegen Dresden dürfte sich der reelle Einnahmeverlust sogar auf 150.000 Euro summieren.
Hätte man im Vorwege noch vorsichtiger kalkulieren müssen?
Die Etatplanung musste ja bereits im vergangenen Winter aufgestellt und beim DFB eingereicht werden. Und selbst im Sommer, als wir nach dem Aufstieg die erste Welle der Pandemie hinter uns hatten, war die Situation so, dass die Vereine dazu angehalten wurden, für das erste Halbjahr mit Einschränkungen zu kalkulieren. Von einer kompletten Saison ohne oder mit sehr wenigen Zuschauern, wie sie jetzt unter Umständen droht, war nicht die Rede. Darauf wird auch kaum ein Verein vorbereitet sein. Noch im Oktober haben wir – genauso wie auch andere Vereine – ja eher mit einer schrittweisen Öffnung weiterer Zuschauerbereiche rechnen können.
Der VfB hat im Frühjahr auf Kurzarbeit verzichtet und auch ansonsten nicht öffentlich nach Hilfe gerufen, obwohl schon damals Einnahmen fehlten. Hätte man früher handeln können?
Rückblickend betrachtet, kann man natürlich darüber diskutieren, ob es die richtige Entscheidung war, auf Kurzarbeit zu verzichten. Wenn wir Tabellenfünfter gewesen wären, hätten wir sicher nicht auf Kurzarbeit verzichtet. Wir konnten aber Ende März nicht einschätzen, ob und wie die Saison fortgeführt werden würde. In keinem Fall wollten wir unser Aufstiegsziel gefährden. Zudem standen wichtige Vertragsverhandlungen an. Und wir wussten und wissen, dass es in dieser Krise andere gibt, die noch mehr zu leiden haben als wir. Unsere Rechnung ist ja auch insofern aufgegangen, dass die Finanzierung der Monate ohne Spielbetrieb am Ende durch gute Unterstützung aller Beteiligten gelungen ist.
Inzwischen gibt es ja Fördertöpfe der Politik, die auch für Drittligisten Teile der Finanzlücken stopfen sollten. Das scheint aber für den VfB nicht zu gelten. Welche Problematik ergibt sich da?
In der Tat stellt sich die Situation für uns schwierig dar. Insbesondere die Ungleichbehandlung ist für uns in dieser Form auch nicht akzeptabel. Es gibt sicher Branchen und Unternehmen, die Corona noch härter getroffen hat als uns Drittliga-Fußballer. Und natürlich wissen wir, dass es sich um Billigkeitszahlungen handelt, auf die kein Anspruch besteht. Aber wenn die Politik die Rahmenbedingungen schafft, um auch den Drittliga-Vereinen einen Teil ihrer Einnahmeverluste zu ersetzen, dann muss auch für alle Vereine in der Liga die Möglichkeit bestehen, diese Hilfe zu erhalten.
Woran liegt es, dass das derzeit nicht der Fall ist?
Es gibt zwei Hilfsprogramme, die sich im Prinzip auch an Fußball-Drittligisten richten, vor allem die von der Politik groß angekündigte „Corona-Hilfe für den Profisport“, nach der für die Zeit bis Dezember 2020 bis zu 80 Prozent der Verluste aus dem Ticketing – höchstens 800.000 Euro – ersetzt werden können. Nach dem Inhalt der Richtlinie soll der Einnahmeverlust aber durch einen Vergleich der Einnahmen im Jahr 2020 mit denjenigen aus dem Vergleichszeitraum 2019 ermittelt werden. Das macht für Vereine, die bereits im letzten Jahr in der 3. Liga gespielt haben, Sinn. Nicht aber für die Aufsteiger. Schließlich haben wir im Vergleich zu Regionalliga-Heimspielen wie gegen Jeddeloh, St. Pauli II oder den Heider SV keine oder nur geringe Einnahmeverluste, wenn man die 1.860 Zuschauer zugrunde legt, die wir zu Saisonbeginn hereinlassen durften. Realistisch ist aber – selbst wenn man eben nur die konservativ kalkulierten Planzahlen annimmt – dass rund 50.000 Euro pro Spiel fehlen. Wir fordern von der Politik keine Sonderrechte, sondern nur, dass wir genauso behandelt werden wie andere Drittligisten auch und man die tatsächlichen Einnahmeverluste auf einer realistischen Grundlage ermittelt. Bisher werden unsere Argumente aber nicht gehört. Man hat uns mitgeteilt, dass es auf eine Ablehnung unseres Antrages hinauslaufe.
Auch vor dem jüngst beschlossenen Teil-Lockdown wurde noch ein Hilfsprogramm beschlossen. Kann der VfB da auf Gelder hoffen?
Beim für November angekündigten Überbrückungsgeld III sollen z.B. Unternehmen der Veranstaltungsbranche, auch Vereinen, bis zu 75 Prozent der Einnahmeverluste ersetzt werden. Auch da soll nach allen Ankündigungen aber Vergleichsmaßstab der November 2019 sein und da waren wir nun mal in der Regionalliga und hatten ein einziges Heimspiel gegen den Heider SV. Dass das kein geeigneter Ansatz ist, um die entgangenen Einnahmen aus Spielen gegen Uerdingen, Bayern II und Mannheim, bei denen gar keine Zuschauer mehr zugelassen sind, zu ermitteln, liegt auf der Hand.
Müssen auch Spieler und Angestellte ihren Beitrag zur Situation leisten?
Wir haben bestehende Verträge, insofern sind wir nicht in der Position, Forderungen zu stellen. Aber wir haben in den letzten Tagen viele gute Signale empfangen. Alle Angestellten, mit denen wir gesprochen haben, haben sofort erklärt, auf einen Teil ihrer Gehälter zu verzichten. Und auch die Spieler können die Situation einordnen. Die Mannschaft hat Corona ohnehin schon im Geldbeutel zu spüren bekommen, das ist in der gesamten Fußballbranche so. In der letzten Saison fehlten am Ende Einsatz- und Punktprämien. Auch haben die Spieler in den Verhandlungen um neue Verträge, nicht die Vorstellungen durchsetzen können, wie es unter normalen Umständen der Fall gewesen wäre. Wir befinden uns weiterhin im Austausch, um zu sehen, ob und wie auch die Spieler noch einen Teil zur Verbesserung der aktuellen Situation beitragen können. Letztendlich ist es so, dass wir die Corona-Situation und die damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen durch eine gemeinsame Kraftanstrengung bewältigen müssen.
Was können Fans und Freunde des Vereins tun, um die Lage zu verbessern?
Wer uns helfen will, kann das schon über die bestehenden Wege natürlich gerne tun. Für das Projekt Lohmühlen-Euro, das für die vielen Infrastruktur-Maßnahmen gedacht ist, die uns ja zusätzlich in diesem und im nächsten Jahr eine Menge Geld kosten, hilft uns jede Spende. Bestellungen in unserem Fan-Shop, in dem es rechtzeitig zur Weihnachtszeit auch einige neue Artikel gibt, sind auch immer eine willkommene Hilfe. Und wir werden in nächster Zeit auch noch die eine oder andere Aktion starten.