Für manchen FC-Anhänger wäre es eine Horrorvorstellung gewesen: Kurz nach Weihnachten ging Torsten Bard in Überroth mit Frau und Tochter, sowie Bella, der imposanten Hündin, am Rande seines Wohnortes Überroth spazieren. Es war kalt und nebelig und die Abenddämmerung setzte ein. Auf der anderen Seite kamen ihnen Leute entgegen. Ein Mann mittlerer Größe mit Wintermütze auf dem Kopf und ebenfalls einem Hund im Schlepptau.
„Torsten?“ rief er plötzlich. Torsten stutzte und glaubte nicht, was ihm seine Sinne mitteilten: „Milan! Was machst Du denn hier?“ Nein das war kein Traum – auch kein Alptraum – sondern die Lebensrealität des Mannes am Steuer des FCS-Busses.
Milan Sasics Sohn hatte eine Freundin aus Überroth. Die gastfreundlichen Leute aus dem Bohnental hatten den ehemaligen FCS-Trainer und seine Frau zum nachweihnachtlichen Familientreffen eingeladen. So war er seinem ehemaligen Fahrer über den Weg gelaufen. „Ich bin mit Milan immer gut zurechtgekommen“ erzählt der, während wir am Tisch auf der Terrasse sitzen und den köstlichen Kuchen genießen, den seine Frau für unser Treffen gebacken hat.
Seine persönliche Geschichte ist weit mehr mit dem Fußball verbunden als man es sich auf den ersten Blick vorstellen kann. Der gebürtige Theleyer kann selbst auf eine lange Amateurkarriere zurückblicken. Bereits mit 6 Jahren schnürte er die Schuhe für den VfB, der ja in den 70er Jahren mit einem Sieg über den FCS beinahe vereitelt hätte, dass die Hauptstädter in die 2. Liga aufgestiegen wären.
Torsten Bard durchlief die gesamte Jugend in seinem Heimatverein und wurde als A-Jugendspieler in die Saarlandauswahl berufen. Das bekamen die ambitionierten St. Wendeler mit und lotsten den jungen Mann in die Kreisstadt, wo er ein Jahr in der Verbandsliga spielte, bevor die Bundeswehr rief. Danach ging es nach Tholey, wo er nach 10 Jahren spielte, um dann wieder zurück nach Theley zu gehen und dort eine 2. Mannschaft aufzubauen. Auch als Jugendtrainer engagierte er sich, allerdings nicht in Theley, sondern beim VfL Primstal. „Und dann kam der 1. FC Saarbrücken“ – und Schluss war es mit Torsten Bards Trainerkarriere.
Vor der Saison 2002/03 hatte der FCS nach einem neuen Buspartner Ausschau gehalten und war bei der Firma Jochem in Schmelz, dem Arbeitgeber von Torsten Bard, fündig geworden. Zunächst war jedoch ein anderer Fahrer für den Fußballverein vorgesehen gewesen, der dann auch die Vorbereitung mit den Saarbrücken bestritten hatte. Dann allerdings hatte er sich drei Wochen Urlaub gegönnt, gerade die Saison begann. Also kam Torstens Chef auf ihn zu: „Du spielst doch selbst Fußball, willst Du nicht die drei Fahrten übernehmen?“. Torsten willigte ein und chauffierte die Fußballer an den folgenden drei Wochenenden zu ihren Spielorten. Erstaunlicherweise bekam er einen guten Draht zum damaligen Trainer Horst Ehrmanntraut, der als schwierig galt. Doch nach drei Wochen kam der Kollege zurück aus dem Urlaub und übernahm wieder die Blauschwarzen. Als er dann nach ein paar Wochen krank wurde, sprang Torsten Bard abermals ein – sehr zur Freude von Ehrmanntraut, der ihn dann auch gleich fragte, ob er das nicht ganz übernehmen wollte. Doch Torsten woll- te sich nicht in den Job reindrängen.
Nach der Vorrunde allerdings sprachen die Verantwortlichen des 1. FC Saarbrücken mit Torstens Chef und es wurde festgelegt, dass er nach der Saison den Bus fest übernehmen würde.
Damals ging es sportlich für den FCS aufwärts Richtung 2. Liga, wo allerdings nicht wie erwartet gepunktet wurde, so dass Horst Ehrmanntraut Eugen Hach weichen musste. Wenig später drehte sich das Karussell erneut und „Horst“, wie ihn Torsten Bard freundschaftlich nennt, war wieder auf seinem Posten.
„Die 2. Liga war toll. Es war interessant, dort zu fahren. Die Abläufe waren professioneller“ erzählt er begeistert. Über das Berufsbild, insbesondere in Diensten des 1. FC Saarbrücken, täuschen sich aber wahrscheinlich viele. „Ich höre oft, dass gesagt wird, was das für ein lockeres Leben wäre. Doch die Leute haben keine Ahnung“. Der Busfahrer muss funktionieren wie ein Uhrwerk. Manch ein Trainer will lieber eine Stunde und 15 Minuten vor dem Spiel im Stadion sein, der andere 10 Minuten früher. Sie alle wollen einen gewissen Rhythmus auf die Spieler übertragen. Hinzu kommt, dass ab eine Stunde vor Spielbeginn ohnehin ein fester Ablaufplan für jedes Team in der Umkleide hängt. Dann hat Torsten Bard schon einiges hinter sich.
Wenn er abends zuvor am Hotel ankommt, ist es in der Regel so, dass Mannschaft und Funktionsteam ausstei- gen, ihr Gepäck nehmen und ins Hotel gehen. Der Bus kann aus Sicherheits- gründen meist nicht am Hotel stehen, sondern wird unter Polizeibegleitung in eine abgesperrte Halle, ins Stadion oder an einen anderen Sicher Ort gebracht. Erst danach geht’s zurück ins Hotel und zum Abendessen.
Am nächsten Morgen muss gleich schon wieder der Bus abgeholt werden, das Material wird dann wieder geladen. Es geht ins Stadion, wo Rüdiger Schmidt die Kabinen einrichtet, denn die Trikots, Hosen, Stutzen müssen am richtigen Ort hängen, Wasser muss zur Verfügung stehen. Die Abläufe müssen stimmen.
Dann geht es wieder zurück, Spieler und Trainerteam abholen. Nach dem Spiel wird alles wieder eingepackt, in den Bus geräumt. Erst danach beginnt die Rückreise Richtung Heimat. Es ist harte Arbeit, die Torsten und seine Kollegen leisten müssen. Und die Familie muss oft viel Geduld aufbringen. Im Januar 2021 war Torsten beispielsweise 16 Tage mit dem 1. FC Saarbrücken unterwegs. Aber die Arbeit in Diensten des FCS macht ihm Spaß. „Ich habe bestimmt schon 20 Trainer erlebt und bin mit allen gut zurecht gekommen. In der kleinen Fußballwelt trifft man sich ja ab und zu wieder, hält einen kleinen Schwatz. Das mag ich an dem Beruf“. An ein Prinzip hält er sich dabei eisern: „Ich spreche mit dem Trainer nicht über Fußball“. Gerade nach Niederlagen könnte so etwas natürlich ins Auge gehen.
Nur wenn der Trainer explizit nach etwas fragt, äußert sich Torsten Bard.
Er verbreitet auch immer gute Laune, hat einen guten Spruch auf den Lippen. Als wir beispielsweise vor einiger Zeit im Sportfeld standen, kam Torsten auf uns zu: „Ihr wollt bestimmt ein Interview mit mir führen. Ich habe gerade für fünf Jahre unterschrieben!“ freute er sich zu früh, denn Dieter Ferner, der das mitbekommen hatte, sagte: „Beim Unterschreiben ist mir gerade die Bleichstiftspitze abgebrochen…“ und zog lachend von dannen. Shit. War wohl nix…
Ausgleich zu den langen Reisen mit dem FCS und seinem alltäglichen Job bei der Firma Jochem findet Torsten Bard zuhause.
Seit einem Jahr verwaltet er ein riesiges Grundstück oberhalb seines Heimatortes, auf dem sich u.a. vier Fischweiher befinden. Dort verbringt er viel Zeit, angelt, mäht den Rasen, freut sich über die junge Dachsfamilie, die nachts die Gegend unsicher macht, kümmert sich um die Fischzucht und alles, was so anfällt.
Es ist ein wunderbares Refugium, das Torsten Bard zur Ruhe kommen und wieder Kraft tanken lässt. Denn der Moment, wenn der Bus geladen, die Spieler und Trainer auf ihren Plätzen sitzen und er das Navi anschaltet, das eine Fahrtstrecke von 650 Kilometer anzeigt, kommt bald wieder. Und dann muss er fit sein.