Ein Kommentar von Werner Röhrig
Noch vor wenigen Tagen forderte der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk eine Reise von Scholz nach Kiew und sprach von einem „starken Signal“, das sie darstellen würde. Der CDU-Fraktionsvize Johann Wadephul, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Es stünde auch der Bundesregierung an, ein solches Signal (…) zu setzen.“ Der europapolitische Sprecher der Grünen meinte gegenüber dem RND fast gleichlautend: „Jetzt braucht es aber vor allem ein sehr hochrangiges politisches Signal aus Deutschland“. „Der Druck auf Scholz nimmt zu“, war allenthalben in der Presse zu lesen.
Scholz ist nicht gereist und hat auch keine Reise angekündigt – und das war gut so! Man muss annehmen, dass er die Reisepläne des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier kannte. Dieser musste am 12.04.2022 „zur Kenntnis“ nehmen, dass ein Besuch von ihm in der Ukraine „nicht erwünscht“ ist. Der polnische Präsident Andrzej Duda hatte eine gemeinsame Reise zusammen mit den Staatschefs der baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland vorgeschlagen als „ein starkes Zeichen gemeinsamer europäischer Solidarität mit der Ukraine“, so Steinmeier.
Von Seiten der Ukraine wird diese Gemeinsamkeit offensichtlich nur bedingt geschätzt, jedenfalls was Deutschland betrifft. Herr Melnyk ist ja bekannt für recht emotionale Auftritte und sehr undiplomatische Äußerungen. Angesichts der dramatischen Lage seines Landes haben dies viele hingenommen, wenn auch mit einem gewissen Unbehagen. Auf staatlicher Ebene sollten diplomatische Umgangsformen selbst in einer Kriegslage zumindest zwischen denen geachtet werden, die sich der gleichen Seite zugehörig fühlen. Bei Melnyk ist das oft nicht der Fall und nun tut es ihm offensichtlich die Staatsführung der Ukraine gleich.
Falls die Regierung der Ukraine hinsichtlich der Ausladung des Bundespräsidenten einem Rat ihres Botschafters gefolgt sein sollte, wurde sie miserabel beraten. Man mag zu Steinmeiers Politik in der Vergangenheit stehen wie man will. Derzeit ist er deutsches Staatsoberhaupt. Diese unnötige Demonstration des Unmuts schadet der Bereitschaft von Politik und Gesellschaft in Deutschland sich noch mehr für die Ukraine zu engagieren.
Eine Reise des Bundeskanzlers nach Kiew wird jedenfalls auf absehbare Zeit unmöglich. Gut, dass trotz des Affronts der „Scholzomat“ weiter zu Gunsten der Ukraine funktionieren wird, weil das im Interesse Deutschlands liegt. Der Schaden des diplomatischen Affronts liegt in seiner Wirkung auf die Öffentlichkeit.