StartThemenWissing: Die CDU ist nicht länger unser natürlicher Koalitionspartner

Wissing: Die CDU ist nicht länger unser natürlicher Koalitionspartner

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Der FDP-Generalsekretär Dr. Volker Wissing gab „Zeit Online“ (Freitag) das folgende Interview. Die Fragen stellten Angelika Finkenwirth und Michael Schlieben:

Frage: Herr Wissing, stecken Sie in einem Rollenkonflikt? Der rheinland-pfälzische CDU-Chef Christian Baldauf wirft Ihnen vor, dass Sie als FDP-Generalsekretär Corona-Maßnahmen kritisieren, die Sie als Landesminister in Rheinland-Pfalz selbst umsetzen.

Wissing: Die Zuständigkeiten einer Landesregierung sind nicht deckungsgleich mit denen der Bundesregierung, das sollte eigentlich auch die CDU wissen. Auch wenn ich anderer Meinung bin, gibt mir das nicht das Recht, mich als Landesminister über ein Bundesgesetz hinwegzusetzen. Das weiß Herr Baldauf. Dinge, die in der Zuständigkeit der Landesregierung liegen und die ich für falsch halte, wurden in Rheinland-Pfalz auch nicht umgesetzt. Zum Beispiel das Beherbergungsverbot. Ich habe das Infektionsschutzgesetz abgelehnt, deswegen haben wir uns als Bundesland im Bundesrat enthalten. Dort fand es aber eine Mehrheit und wurde somit verbindlich für die ganze Bundesrepublik.

Frage: Wenn man Sie beide so hört, kann man sich eine Koalition zwischen FDP und CDU kaum vorstellen. Auch im Bund knirscht es.

Wissing: Die CDU ist nicht länger unser natürlicher Koalitionspartner. Herr Röttgen hätte als CDU-Chef sogar eine Koalition mit uns ausgeschlossen. Wenn wir ehrlich sind: Schwarz-Gelb hat schon länger nicht mehr funktioniert. Die Koalition 2009 bis 2013 auf Bundesebene war problematisch. Und Jamaika ist nicht an den Grünen gescheitert, sondern am Verhältnis zwischen CDU und FDP. Wir wollten die Bürgerinnen und Bürger entlasten, die Union hat das kategorisch abgelehnt. Politische Bündnisse sind kein Selbstzweck. Sie müssen einen erkennbaren Mehrwert haben – nicht nur für die beteiligten Parteien, sondern vor allem auch für das Land. In Rheinland-Pfalz haben SPD, FDP und Grüne eine gemeinsame Basis gefunden. Es ist vielleicht eine der markantesten Schwächen der Union im Allgemeinen, aber auch der Bundeskanzlerin persönlich, dass sie Zweck- aber keine Gestaltungsbündnisse sucht.

Frage: Die FDP könnte sich auch nach der Bundestagswahl eine Ampelkoalition vorstellen. Vor allem aus taktischen Gründen – oder auch aus inhaltlichen? Was ließe sich mit der SPD besser umsetzen als mit der Union?  

Wissing: Grundsätzlich ist die FDP für eine Zusammenarbeit mit allen Parteien des Mitte-Spektrums offen. Wir haben aktuell Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen, die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein und die Ampel in Rheinland-Pfalz. Alle Konstellationen funktionieren, weil ein gutes Gesprächsklima und Vertrauen zueinander herrscht und wir uns mit unseren Inhalten einbringen können. Mit der SPD gibt es sicherlich größere Schnittmengen in der Innen- und Rechtspolitik oder der Gesellschaftspolitik als mit der Union. In anderen Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik etwa einer Vermögenssteuer gibt es dafür auch erhebliche Differenzen.  

Frage: Die Bundestagswahl wird die erste Wahl seit Langem ohne Angela Merkel sein. Ihr Parteichef Christian Lindner spricht seit dem Jamaika-Aus kein freundliches Wort mehr über die Kanzlerin. Wie fällt Ihr Urteil aus?

Wissing: Als Mensch mag ich ihre unterkühlt-protestantische Art. Ihre Fähigkeit, Stresssituationen mit Gelassenheit durchzustehen, ist mir nicht ganz fremd. Als Politikerin hat sie aber auch Defizite. Sie erklärt nicht gut. Sie ist sehr verkopft. Für Frau Merkel ist Politik mehr ein Verwaltungs- als ein Gestaltungsauftrag. Darunter leidet die politische Debatte. Wir haben das 2009 gemerkt: Wir sind mit ihr in eine Koalition eingetreten – und sie hat dieselbe Politik weitergemacht wie vorher in der Großen Koalition. Dafür mussten wir einen hohen Preis zahlen. Den Fehler wollten wir 2017 mit Jamaika nicht wiederholen. Wenn es in einer Demokratie keinen Unterschied macht, welche Partei regiert, braucht man nicht mehr zur Wahl gehen.

Frage: Ein Problem der FDP ist, dass sie oft als unsympathisch wahrgenommen wird. Was kann man als Generalsekretär dagegen tun?

Wissing: Wir stehen als Partei für Mut, Optimismus, Weltoffenheit und Lösungsorientierung. Wir wollen unser Land, unsere Gesellschaft so gestalten, dass sie jedem und jeder die bestmöglichen Chancen auf Verwirklichung des eigenen Lebenswegs bietet. Wir sind die Partei, die ermöglicht, nicht vorschreibt. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal und unterscheidet uns von unseren politischen Mitbewerbern. Die Idee der Freiheit ist eine sympathische und zutiefst menschenfreundliche. Es ist die ureigenste Aufgabe der FDP und damit meine als Generalsekretär den politischen Freiheitsbegriff mit Leben zu füllen. Und daran arbeiten wir, ernst im Ton, seriös in der Sache und das ist auch das, was die Bürgerinnen und Bürger von einer liberalen Partei erwarten.

Frage: Während der Pandemie fällt die FDP besonders durch ihre scharfe Kritik an den Corona-Maßnahmen auf. Würden die Liberalen den Lockdown sofort beenden?

Wissing: Nein, das macht keinen Sinn. Wir haben eine sehr unklare Bedrohungslage. Aber ich halte die deutsche Strategie für wenig stringent. Der Schutz vulnerabler Gruppen, den die FDP schon früh vorgeschlagen hat, wird jetzt langsam umgesetzt, obwohl im Frühsommer schon auf der Hand lag, dass das ein Problem ist. Außerdem wird immer noch zu wenig getestet. Die Tests müssten freier verfügbar sein und es müsste mehr Teststationen geben, damit die Menschen sich eigenverantwortlich testen können. Der November-Lockdown war zudem nicht begründbar: Die Schließung von Kultureinrichtungen und der Gastronomie ließen keinen Effekt erwarten, weil es laut den Fakten des RKI keine Infektionstreiber waren.

Frage: Sie würden also Theater, Kinos und Restaurants wieder öffnen?

Wissing: Nein, denn die heutige Situation ist eine andere als im November. Die Infektionszahlen sind eskaliert, sodass wir im Dezember eine Notbremse ziehen und vor allem die Kontakte im Privaten einschränken mussten. Wir hätten aber vorher gerne eine stärkere Debatte im Bundestag dazu gehabt, uns eingebracht und verschiedene Experten gehört. Die Bürgerinnen und Bürger haben Bedenken, sie machen sich Sorgen und möchten auch, dass diese in ihrer Vertretung thematisiert und diskutiert werden. Wer gerade die Themen aus der politischen Debatte ausklammert, welche die Menschen am meisten bewegen, verdammt den Parlamentarismus zur Irrelevanz, erweist unserer Demokratie einen Bärendienst und befördert die Politikverdrossenheit im Land.

Frage: Da stimmen Sie sogar mit der Linken überein, die ebenfalls eine breitere Parlamentsdebatte fordern. Ihre beiden Fraktionsvorsitzenden, Lindner und Bartsch, haben dazu sogar einen gemeinsamen Artikel formuliert. Schafft Corona ganz neue Allianzen?

Wissing: Es passiert nicht oft, aber in dieser Frage sind sich FDP und Linke einig: Die Parlamente dürfen nicht weiter übergangen werden, wenn es um die Corona-Maßnahmen geht. Die Dominanz der Exekutive ist nicht länger hinnehmbar und ganz offensichtlich auch nicht länger hilfreich. Wir wollen gemeinsam das Parlament stärken. Schade, dass sich die Grünen uns hier nicht angeschlossen haben.

Frage: Gab es Punkte in diesem Corona-Jahr, wo Sie sich selbst revidieren mussten oder gemerkt haben, die Pandemie läuft anders als erwartet?

Wissing: Am Anfang waren wir alle relativ unbesorgt, auch ich bin im Februar mit einer Wirtschaftsdelegation nach Japan gereist, als dort bereits ein Schiff im Hafen lag, das unter Quarantäne gestellt war. Dann wuchs die Erkenntnis, wie stark Corona Menschenleben bedroht. Der erste Lockdown war meiner Meinung nach richtig, die vorsichtige Öffnung allerdings auch. Aber nach der Evaluierung der ersten Welle gab es viele Schwächen bei der Bundesregierung. Nehmen wir die Wirtschaftshilfen. Dass die nicht fließen, ist ein Versäumnis von Peter Altmaier. Wir haben sieben Hilfsprogramme, von denen vier schon mehrfach geändert wurden. Für die betroffenen Unternehmen gleicht das langsam einem Irrenhaus!

Frage: Am 14. März wird in Rheinland-Pfalz gewählt – wohl sehr unter dem Eindruck der Corona-Pandemie. Wird der Wahlkampf der FDP in Rheinland-Pfalz komplett digital stattfinden?  

Wissing: Ja, vermutlich. Wir haben ein Studio aufgebaut, von dem aus wir fast jeden Tag senden. Unsere Spitzenkandidatin Daniela Schmitt macht jeden Abend eine Sendung aus dem Studio Schmitt. Die Bewerber aus den Wahlkreisen kommen zu Besuch und präsentieren sich.

Frage: Ihre Nachfolgerin ist im Land kaum bekannt. Hätten Sie Daniela Schmitt nicht mehr Raum geben sollen, als feststand, dass Sie nach Berlin wechseln?

Wissing: Frau Schmitt ist seit vielen Jahren meine Stellvertreterin im Landesverband und Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium. Als solche hat sie sich in der Wirtschaft des Landes, beim Handwerk und Mittelstand einen sehr guten Ruf erarbeitet. Sie ist eine starke Persönlichkeit, kompetent und überzeugend. Als Spitzenkandidatin steht sie im Mittelpunkt unserer Kampagne und als Person für unser Angebot an die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes: eine lösungsorientierte, den Menschen zugewandte Politik.

Frage: Der Lockdown ist lang und anstrengend, viele Bürgerinnen und Bürger halten sich nicht mehr exakt an jede Einschränkung. Wie ist das bei Ihnen?

Wissing: Schon seit Längerem nutze ich eine FFP2-Maske und habe private wie berufliche Kontakte auf das Nötigste reduziert. Für mich als Politiker ist die momentane Situation sehr schwierig. Zwar muss ich weniger Zeit im Auto verbringen, sonst fahre ich 80.000 Kilometer jährlich mit dem Auto durch Rheinland-Pfalz, aber das, was Politik ausmacht, der Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern, muss weitgehend in den virtuellen Raum verlagert werden. Digitale Formate sind durchaus wichtig, aber im Gegensatz zu den traditionellen politischen Veranstaltungen geht dabei auch sehr viel verloren: die Emotionen, die Interaktion, die Nähe.

Frage: Wie nutzen Sie die gesparte Zeit?

Wissing: Man verbringt mehr Zeit zu Hause und kann im Homeoffice ein paar private Dinge nebenbei erledigen, aber man hat am Ende nicht unbedingt mehr Zeit. Der Wegfall klassischer politischer Veranstaltungen wird durch zusätzliche Telefon-, Videokonferenzen und digitale Veranstaltungsformate mehr als ausgeglichen. Da viele davon aber aus dem Homeoffice heraus gemacht werden können, bleibt trotzdem Zeit, Dinge zu tun, die sonst aufgrund der Ferne nicht möglich wären: Zum Beispiel für die Familie kochen, das mache ich sehr gern. Eine gute selbstgemachte Linsensuppe braucht wenig Aufmerksamkeit, aber insgesamt viel Zeit. Wenn man nur eine Stunde zu Hause ist, kann man die vom Speiseplan streichen. Ähnlich ist es beim Brotbacken, was ich seit vielen Jahren selbst mache.

Frage: Wie sehr leidet Ihre Familie unter der Pandemie?

Wissing: Wir können fast jeden Abend gemeinsam essen. Das ist großartig, weil es den Tag gut ausklingen lässt. Es ist schön, mehr Zeit zu Hause verbringen zu dürfen. Aber sonst ist die Pandemie auch eine sehr bedrückende Erfahrung für uns. Meine Tochter leidet, weil sie ihre Freundinnen nicht sehen kann. Sie ist gerade 17 geworden – in dem Alter will man sich mit anderen austauschen. Das geht im Moment nur sehr eingeschränkt. Meine 85-jährige Schwiegermutter, die mit auf unserem Grundstück lebt, hat sich isoliert, weil sie zur Risikogruppe gehört. Je länger der Lockdown dauert, desto mehr wird das zum Problem: Sie vereinsamt, das bedrückt uns sehr. Ich vermisse auch sehr den geselligen Austausch mit meinen Eltern und meiner Schwester. Wie Millionen andere Familien wollen wir uns sehen, uns besuchen und austauschen. Corona schränkt unser aller Sozialleben ein und das dürfte einer der schlimmsten Effekte überhaupt sein.

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